Der Nahost-Konflikt in leuchtenden Farben

Julian Schnabels hoch ambitioniertes Palästina-Drama «Miral» ist ein Fest für die Augen. Erzählerisch überzeugt es hingegen kaum.

 

von Sandro Danilo Spadini

Nach dem haitianisch-amerikanischen Graffitikünstler Jean-Michel Basquiat, dem kubanischen Poeten Reinaldo Arenas und dem französischen Journalisten Jean-Dominique Bauby nun also die palästinensische Schülerin Miral Shahin: Auch für seinen vierten Spielfilm hat der New Yorker Künstler Julian Schnabel eine verblüffende Hauptfigur gewählt. Und wie die beiden vorigen Werke «Before Night Falls» und «Le scaphandre et le papillon» beruht auch «Miral» auf autobiografischen Erinnerungen. Im aktuellen Fall gehören diese Erinnerungen – etwas ausgeschmückt – Schnabels Lebensgefährtin Rula Jebreal, einer palästinensisch-italienischen Journalistin, die 2004 mit «Miral» literarisch debütierte.

Vier Frauenschicksale

Dass Schnabel hier angebissen hat, wird also auch private Gründe gehabt haben. Nur von Vorteil ist die familiäre Verquickung freilich nicht. So erweist sich gerade das von Jebreal selbst verfasste Drehbuch als gewisse Hypothek. Dieses ist Känguru und Schnecke zugleich: Zunächst hüpft es ausgiebig auf der Zeitachse; am chronologischen Endpunkt angelangt, lässt es das Geschehen dann kaum mehr vom Fleck kommen. Ganz am Anfang steht der Tod der palästinensischen Waisenhaus-Gründerin Hind Husseini (Hiam Abbass) im September 1994. Sogleich geht es zurück ins Jahr 1947. Der leinwandfüllende Zwischentitel «Hind» gibt zu verstehen: Es geht jetzt erst mal um jene Frau, die im Dar-el-Tifl-al-Arabi-Kinderhaus in Ostjerusalem bis zu 3000 Mädchen ein Obdach bot. Die mal in sonnendurchfluteten, mal gefilterten Bildern geschilderte Geschichte Hinds reichert Schnabel mit Archivaufnahmen in Schwarzweiss an: Ausrufung des Staates Israel, 6-Tage-Krieg, Intervention der UNO-Truppen. Doch kaum hat man Hind getroffen, geht es weiter zur zweiten Protagonisten: «Nadia» steht nun weiss auf schwarz. Es ist die Geschichte einer vom Stiefvater sexuell misshandelten jungen Frau (Yasmine Elmasri), die als Bauchtänzerin und Alkoholikerin endet. Die Nächste ist Fatima (Ruba Blal): eine Krankenschwester, die zur Terroristin wird. Erst 40 Minuten sind (wie im Flug) vergangen, wenn Zwischentitel Nummer vier dann die Titelfigur ankündet: Miral. Wir treffen sie zunächst als Achtjährige, sodann – in der Person von «Slumdog Millionaire»-Star Freida Pinto – als Siebzehnjährige, die in Hinds Mädchenhaus lebt. Hier schliesst sich der Kreis, denn Miral, das Alter Ego von Rula Jebreal, ist Nadias Tochter und Fatimas Nichte. Nun – wir sind im Jahr 1987 und der Zeit der Ersten Intifada angelangt – kommt der Film zur Ruhe; gar ein wenig zu ruhig wird es nun. Auch die eigentliche, hoch politische Absicht wird evident: anhand von vier Frauenschicksalen die stets aufs Neue zerstörten Hoffnungen des palästinensischen Volkes bis hin zum Abkommen von Oslo 1994 aufzuzeigen.

Nicht die übliche Klasse

Wie alle Schnabel-Filme spielt also auch «Miral» in einem längeren Zeitraum in der jüngeren Vergangenheit. Und wie alle Schnabel-Filme ist auch «Miral» ein Fest für die Augen und voll bildlicher Poesie. Abermals zeigt sich der Künstler hier höchst experimentierfreudig – und sämtliche Experimente glücken ihm mithilfe der agilen Kamera von Eric Gautier. Ebenso ambitioniert ist der Film als Ganzes. Im Gesamtbild indes erreicht Schnabel, der zuvor drei Ausnahmestreifen erschuf, nicht sein übliches Rendement. Die angedachte grosse palästinensische Geschichte ist «Miral» jedenfalls nicht geworden. Eine Ursache dafür ist neben Jebreals unstimmigem Skript die Entscheidung, eine 25-jährige Inderin die 17-jährige palästinensische Titelfigur spielen zu lassen. Dies umso mehr, als Bollywood-Newcomerin Freida Pinto mit ihrer makellosen Schönheit dem palästinensischen Widerstand ein gleichsam geschmacklos attraktives Gesicht gibt. Dass obendrein meist in perfektem Englisch parliert wird, ist der Glaubwürdigkeit auch kaum förderlich. Ob solcher Fauxpas werden nicht nur die gewiss guten Absichten diskreditiert; es verpufft letztlich auch die Provokation, dass hier ein jüdischstämmiger Künstler derart dezidiert Partei für die palästinensische Sache ergreift. Er sei nicht politisch, sagt Schnabel. Seinem gar naiven und überfrachteten Film merkt man das leider allzu sehr an.