von Sandro Danilo Spadini
Eine App, die auf die Sekunde genau voraussagt, wann jemand das Zeitliche segnet? Das klingt zunächst einmal ziemlich albern. Und anderthalb Stunden später, wenn Regisseur Justin Dec sein Debüt
«Countdown» zum erwartungsgemässen und
genregerechten Ende gebracht hat, folgt denn auch die Gewissheit: Doch, doch, das ist schon alles reichlich albern gewesen, was wir hier gerade vorgesetzt bekommen haben, und wenig durchdacht
noch dazu – sowohl was den Sinn des Ganzen betrifft als auch dessen Originalität. Was wir beim durchaus amüsierten Betrachten des Abspanns, in den selbstredend noch ein finaler Gag eingeflochten
ist, freilich ebenfalls anerkennen dürfen: Die Zeit ist wenn nicht wie im Fluge, so doch im Regio-Express-Tempo vorbeigerauscht. Und dies weitestgehend störungs- und hindernisfrei, zügig und
flüssig und mithin so, dass wir uns nicht allzu lange mit den Logiklöchern des dünnen Drehbuchs aufhalten konnten, wollten oder mussten. Das wäre dann auch schon der erste Punkt, der für diesen
launigen Horrorfilm spricht, der in allem, was er tut, sich bewusst an jene Gesetze hält, die vor Kino-Uhrzeiten aufgestellt und auch von artverwandten Streifen wie «The Ring», «Final
Destination» oder zuletzt «Happy Death Day» eingehalten worden sind. Und damit gelangen wir ohne Umschweife zum zweiten Pluspunkt von Decs Film, der mit angesprochenen Kassenschlagern nämlich
nicht nur diese Schwäche für Genrekonventionen und das eine, das andere und noch weitere Motive auf Handlungsebene teilt. Sondern obendrauf in seinem Zentrum jemanden stehen hat, der sich genau
wie Naomi Watts, Mary Elizabeth Winstead oder Jessica Rothe unsere bedingungslose Sympathie sichert und so unser Interesse zu wecken und endlich aufrechtzuerhalten vermag.
Eine schöne Seele
Elizabeth Lail heisst diese Sympathieträgerin und Interessenweckerin, ein noch weitgehend unbeschriebenes Blatt und entsprechend frisches Gesicht, das man allenfalls aus der Netflix-Serie «You»
kennen könnte. Die 26-jährige Texanerin spielt hier also die Krankenpflegerin Quinn. Und wie das so ist bei jungen Kinofrauen, die alsbald in brutal brenzlige Situationen geraten und dannzumal
auf unsere Unterstützung zählen, gibt es an dieser Quinn rein gar nichts auszusetzen: Eine Seele von einem Menschen ist sie, fleissig und freundlich, immer ein feines Lächeln im Gesicht und einen
flotten Spruch auf den Lippen, dazu in einem allgemein verträglichen und nicht allzu bedrohlichen Masse hübsch und wenns drauf ankommt so patent wie MacGyver. Dass sie überdies mit einer
tragischen Hintergrundgeschichte (tote Mutter) und einem #MeToo-Fall (schmieriger Chef) ausgeschmückt wird, schärft ihre Konturen noch weiter und wird sich erst noch von Belang erweisen, wenn der
Countdown auf dem Smartphone schon viel zu viele Nullen anzeigt. Das Einzige, was man Quinn vorhalten mag: Wie kann sie nur so blöd sein, sich diese vermaledeite App herunterzuladen?
Andererseits: Eine App, die den eigenen Tod auf die Sekunde genau voraussagt? Klingt wie gesagt doch einfach zu albern. Und dass ein anderes blondes Mädel schon vor dem Vorspann auf
unwiderrufliche Weise hat erfahren müssen, dass man mit dem Akzeptieren der Nutzungsbedingungen auch sein Schicksal besiegelt und dass es kein Entrinnen und kein Austricksen gibt, das kann sie ja
nicht wissen. Und trotzdem: Hat sie denn nicht all diese Filme gesehen, in denen das Smartphone zum eigentlichen Killer wird, Filme wie «One Missed Call», «Cell» oder «Unfriended» also? Hm, nein,
hat sie wohl nicht. Hat ja niemand.
Immerhin das Minimum
Auch «Countdown» haben jetzt nicht gerade Horden von Menschen gesehen. Aber vielleicht gerade noch genug, dass ein Sequel im Bereich des Möglichen, sprich des Profitablen liegt. Regiejüngling
Justin Dec baut hierfür jedenfalls im obligaten Schlusstwist keck schon mal prophylaktisch vor. Und man würde sich ein solches vielleicht sogar anschauen – wenn denn Elizabeth Lail wieder dabei
ist. Und die eine oder andere Figur aus der zweiten Reihe, aus der vornehmlich die überraschend oft tatsächlich komischen Sachen kommen: der tätowierte Priester (P.J. Byrne) etwa, der von Dämonen
geradezu, nun ja, besessen ist und jetzt endlich mal so einen Exorzismus durchführen möchte. Oder der grauenhaft arrogante Nerd aus dem Smartphone-Geschäft (Tom Segura), der zwischenzeitlich
sogar unserer Heldin die Show klaut. Klar, auch mehr oder weniger skurrile Nebenfiguren gehören zum Standardrepertoire dieser Art von Filmen; auch das ist entsprechend keine grosse Kunst, ebenso
wenig wie die ausreichend gruselig modellierten Geister oder die wirkungsvoll platzierten «Jump-Scares», die uns aus unseren Sitzen reissen sollen und dies ab und zu auch schaffen. Aber nicht
eben selten scheitern vergleichbare Produktionen ja bereits an diesen Minimalanforderungen.