Verhandlungen über die Revolution

Das hochaktuelle historische Polit-Justizdrama «The Trial of the Chicago 7» legt wuchtig Zeugnis ab von den grossen Stärken seines genialischen Schöpfers Aaron Sorkin – und von seinen altbekannten Schwächen.

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Von Sandro Danilo Spadini

Ganz vieles von dem, was Aaron Sorkin («The West Wing») in seiner zweiten Regiearbeit nach «Molly’s Game» wort- und gestenreich auf die Leinwand zimmert, hallt von den späten Sechzigern laut und heftig wie ein Kugelhagel bis in unsere bizarre Gegenwart: soziale Unruhen und politische Verwerfungen, Massendemonstrationen und Polizeigewalt, der Kampf um verfassungsmässige Grundrechte und der Krieg um die kulturelle Deutungshoheit zwischen einer reaktionären Rechten und einer radikalen Linken. Manches indes, was Hollywoods Eloquenzbestie in «The Trial of the Chicago 7» gewohnt selbstsicher und meinungsstark aussendet, öffnet eben auch den Blick für die frappanten Unterschiede zwischen damals und unserer grotesken Realität: dass die Antipoden einander wenigstens ab und an zuhören, dass bei aller Schärfe und Dringlichkeit auch mal Platz für einen flotten Spruch ist oder dass die jungen Leute, die im August 1968 am Parteitag der Demokraten gegen den Vietnam-Krieg demonstrieren, keinen relevanten Unterschied ausmachen können zwischen dem designierten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hubert Humphrey und dessen republikanischem Gegenspieler Richard Nixon – dass der Clash der Kulturen in diesem schon damals zutiefst gespaltenen Land also anders als heute nicht strikt den Parteilinien entlang verläuft. Es sind diese Gegensätze, die Sorkins Oscar-ambitionierten Film so erkenntnisreich machen. Und es sind die zahlreichen Gemeinsamkeiten, die ihn so relevant machen. Was ihn aber so überraschend unterhaltend macht, das sind die überragenden Darsteller – und natürlich die Bonmots, die Sorkin à discrétion kredenzt.

Schweres Geschütz

Mit 130 Minuten Spielzeit ist «The Trial of the Chicago 7» ein nicht eben kurz gefasster Film geworden. Das indes liegt zuallerletzt an der historischen Einbettung, die Sorkin im wilden Aufgalopp in einer bemerkenswerten Kadenz und Faktendichte so effizient wie ökonomisch herunterreisst: Präsident Johnson verkündet die Erhöhung der Truppenstärke in Vietnam; 536'000 Amerikaner sind bereits in den Krieg geschickt worden; Martin Luther King und Bobby Kennedy werden ermordet; und im Vorfeld des demokratischen Parteitags fährt die Polizei von Chicago derart schweres Geschütz auf, dass der legendäre Fernsehmoderator Walter Cronkite resigniert konstatiert: «Die Democratic National Convention beginnt in einem Polizeistaat; anders kann man das nicht sagen.» Der Aktivist Tom Hayden (Eddie Redmayne) erklärt vor seinen Jüngern von den Students for a Democratic Society (SDS) derweil: «Wir fahren mit friedlichen Absichten nach Chicago. Aber wenn wir mit Gewalt konfrontiert werden, werden wir mit Gewalt antworten.» Der nicht minder aktivistische Schwerenöter Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) von den Yippies (Youth International Party) gibt dabei noch zu bedenken, dass man bei dieser Gelegenheit auch noch ein paar fleischliche Gelüste befriedigen solle; und Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II) von den Black Panthers deklariert schliesslich: «Martin Luther King ist tot, Malcolm X ist tot, Bobby Kennedy ist tot, Jesus ist tot. Sie haben es friedlich versucht. Wir versuchen etwas anderes.» Es ist mithin nicht nur die Polizei von Chicago, die in die Vollen geht; auch Sorkin feuert bereits hier rhetorisch aus allen Rohren. Überraschend ist das natürlich nicht; Sorkin ist kein Mann der vornehmen Zurückhaltung. Verblüffend ist dafür, was er als Nächstes macht: Er springt fünf Monate in die Zukunft und lässt somit jenes Ereignis aus, um das es im ganzen Folgenden beinahe exklusiv gehen wird – die gewalt- und zerstörungsreiche Konfrontation zwischen den Kriegsgegnern und den Ordnungshütern. Diese markante Auslassung hat nicht nur den Vorteil, dass man sich einen gewissen logistischen Aufwand spart und man drinnen, in den Gerichtssälen, den Uniräumen, den Korridoren der Macht, bleiben kann, dort, wo sich Sorkin am wohlsten fühlt und seine begrenzten inszenatorischen Fertigkeiten genügen. Sie entbindet diesen pointierten politischen Kommentator auch von der Verantwortung, die Schuldfrage restlos zu klären, und erspart so der kommenden Gerichtsverhandlung, auch noch den letzten Rest an ambivalenter Ungewissheit einzubüssen. Smart gemacht jedenfalls.

Linke Grabenkämpfe

Wenn «The Trial of the Chicago 7» beim titelgebenden Hauptteil anlangt, den Sorkin penibel wie ein Gerichtsschreiber, aber ohne dokumentarische Ambition angeht, ist also bereits Richard Nixon im Amt. Und dessen Justizminister John Mitchell (John Dorman). Der hat eine Privatfehde mit seinem Vorgänger (Michael Keaton) am Laufen; und wenn er als Law-and-Order-Mann den pragmatischen jungen Staatsanwalt Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt) auf das «Allstar-Team» um Tom Hayden, Abbie Hoffman und Jerry Rubin (Jeremy Strong) hetzt, die «Chicago 7», dann tut er das nicht etwa, weil er «diese verschissenen kleinen Schwuchteln» tatsächlich als Bedrohung der nationalen Sicherheit sieht; es hat das mehr politische und persönliche denn juristische Gründe. Und ganz ähnlich darf man dann auch in der bockig ignoranten Haltung des Richters (Frank Langella) ideologische Motive vermuten, wenn dieser die Verteidigung um Anwalt William Kunstler (Mark Rylance) ein ums andere Mal unter höchst dubiosen und bisweilen rechtswidrigen Umständen auflaufen lässt. Freilich ist das nicht nur ein Kampf gegen die Windmühlen einer anmassenden Justiz, den die «Chicago 7» hier ausfechten, sondern auch ein interner zwischen Hayden und Hoffman: darum, ob man diesen Prozess nutzen soll, um sich zu verteidigen oder um ein «Fuck You» ans Establishment zu senden; und viel fundamentaler noch um die Ausrichtung der Revolution – darum, ob diese kulturell oder politisch ausfallen und von innerhalb oder ausserhalb des Systems erfolgen soll und ob Feuer mit Feuer oder mit Wasser bekämpft werden soll. Dieser Richtungsstreit, der innerhalb der amerikanischen Linken heute geradeso unerbittlich tobt, ist denn auch weit informativer und ergiebiger als der recht hauruckartig, wiewohl erstaunlich humorvoll dramatisierte Marsch auf die verbohrten Institutionen. Hierin nämlich zeigen sich gerade auch die altbekannten Schwächen Sorkins: sein Hang zu pompösen Reden; die Tendenz, sich an der eigenen Brillanz zu berauschen; und diese so verdammt kontraproduktive und unsympathische Neigung aufgeblasener US-Liberaler, den Gegner zu erniedrigen, lächerlich zu machen und zur Karikatur zu degradieren. Von einem wie Aaron Sorkin darf man da eigentlich mehr Reflexion erwarten – auch wenn er wirklich so eloquent wie kein Zweiter und gewiss ziemlich genial und der Gegner tatsächlich sagenhaft dumm, böse und rückständig ist. Immerhin: Zivilisierter als in dem unwürdigen Affentheater unserer himmeltraurigen Zeit geht das hier allemal zu. Und vor allem dank den Briten Eddie Redmayne, Sacha Baron Cohen und Mark Rylance auch mit ungleich eleganterem Charisma.