Ironie essen Seele auf

Der Drehbuch-Oscar-Gewinner «Promising Young Woman» ist schwarzhumorige Satire und feministische Rachefantasie – und letztlich eine traurig misanthropische Angelegenheit. Aber Hauptdarstellerin Carey Mulligan ist grossartig.

Universal Picturs International

von Sandro Danilo Spadini

«I get your fucking point», wimmert das zweite jämmerliche Würstchen, das von Cassandra (Carey Mulligan) hier blossgestellt wird. Und wiewohl zu diesem Zeitpunkt erst eine knappe Viertelstunde in Emerald Fennells «Promsing Young Woman» absolviert ist, möchte man der Regiedebütantin da schon zuraunen: Ja, wir auch. Wir checken, worauf du hier hinauswillst: Die Menschheit und ganz besonders deren männlicher Teil ist scheisse, samt und sonders scheisse. Und nichts, was in den jetzt noch ausstehenden anderthalb Stunden dieser rosa, pink und bonbonbunt als schwarzhumorige Satire verkleideten feministischen Rachefantasie passiert, wird an diesem misanthropischen Weltbild dann noch gross was ändern. Es werden zwar noch einige weitere Männerschweine auftreten, die die scheinbar komatöse Cassandra nachts im Club in die Falle lockt; dazu auch die eine oder andere Frau, die ihr und damals im längst geschmissenen Medizinstudium vor allem ihrer besten Freundin Nina bitterlich unrecht getan hat. Doch das wird Cassandra, gerade 30-jährig geworden, nach wie vor bei den Eltern hausend und in einem Coffeeshop ambitionslos das Leben verpassend, auch nicht froher machen; es wird ebenso wenig die Wunden heilen, die sie vor all den Jahren erlitten hat, als eine Horde besoffener Kommilitonen vor aller Augen die halb betäubte Nina vergewaltigt hat. Es wird sie höchstens dem Ziel ihrer Mission ein Stück näher bringen.

Alles irgendwie weit weg

Das klingt ja jetzt zunächst einmal doch recht deprimierend, was Fennell da farbenfroh und hyperstilisiert auf die Leinwand gepinselt hat. Und nein, auch daran wird sich bis zum recht verblüffenden Finale von «Promising Young Woman» nichts mehr ändern. Wenn schon, wird es sogar noch einmal garstiger, werden die Welt von Cassandra und die diese bevölkernden Gesellen noch unappetitlicher. «Ich bin doch ein netter Typ», heisst es dann jeweils, wenn sich wieder so ein Kotzbrocken an unserer eben nur vermeintlich wehrlosen Heldin hat vergreifen wollen. Es ist ein Satz, der in diesem trüben Zusammenhang vertraut klingt. Und es ist das auch einer jener auf doch recht wohlfeile und einfache Art geskorten Punkte, die einen abwechselnd die Stirn runzeln, die Nase rümpfen oder mit den Schultern zucken lassen. Dass in diesem Film unter der glitzrigen Oberfläche für jedermann gut sichtbar eine Botschaft verborgen ist, die zu hören sich lohnt, ist ja unbestritten. Es ist aber eine fragwürdige Taktik, diese komplett entkoppelt von der Realität rüberzubringen: etwa indem die Männer hier konsequent immer das Dümmsterdenkliche und Ekligstmögliche tun und sagen; oder dass in der Kleinstadt, in der Cassandra lebt, das Reservoir an potenziellen Vergewaltigern offenbar unerschöpflich ist. Schon klar: Man kann und soll das wohl als Überzeichnung sehen, die den artifiziellen Inszenierungsstil spiegelt. Und natürlich ist das alles zehnmal hipstrig-ironisch gebrochen und damit also so ungemein heutig wie die von Fennell mitverantwortete TV-Serie «Killing Eve». Aber die Distanz, die durch dieses Zwinker-Zwinker in Endlosschlaufe entsteht, droht bald einmal in Gleichgültigkeit umzuschlagen. Dies umso mehr, als keine der blass besetzten Nebenfiguren unser Interesse zu wecken vermag und unsere Soziopathin auf ihrem Rachefeldzug kaum menschliche Züge entwickelt; allen verdientermassen Oscar-nominierten Anstrengungen von Mulligan zum Trotz steht ihrem puppenhaften Äusseren letztlich ein seelenloses Inneres gegenüber: Ironie essen Seele auf.

Heutig und gestrig

Und diese Leere, die ist dann nicht nur furchtbar heutig, sondern zugleich grausam gestrig. «Was ist das? Die Neunziger?», fragt ein Junggesellenabend-Rowdy gegen Ende des Films. Und schon wieder spricht uns da einer aus der Seele. Denn dieser manierierte Zynismus, dem sich Fennells Film bisweilen verschreibt, als habe das Kino erst gestern von Quentin Tarantino erfahren, wird auch nicht cooler und frischer, nur weil es neuerdings Frauen sind, die die sprichwörtliche Axt schwingen. Aber vielleicht, ja ziemlich sicher sogar ist das gewollt so, ist auch das wie alles sonst, von den Barbie-Farben über die Insider-Jokes bis zu den Kitsch-Popsongs, natürlich ironisch und meta, weil Fennell doch so wahnsinnig clever und originell und gewitzt ist, dermassen gesponnen clever und originell und gewitzt gar, dass ihr die Academy für diese Bemühung tatsächlich den Oscar für das beste Originaldrehbuch spendiert hat. Man stutzt darob zwar ein wenig; doch im Grunde kommt das gar nicht mehr so unerwartet, hat sich doch das Subgenre des Vergewaltigungsrache-Thrillers, des «Rape-and-Revenge-Films», seit seiner Blütezeit in den Siebzigern längst aus der Schmuddelecke geschlichen und mit (Independent-)Filmen wie «Revenge» (2017), «Holiday» (2018) oder «Violation» (2020) seinen Platz in den Poesiealben der progressiven Filmjournaille gefunden. In «Promising Young Woman» findet sich freilich nicht nur vieles, was in Ton und Stil eins zu eins «Killing Eve» kopiert, sondern auch manches, was von Talent und Potenzial kündet. Wenn die knallbunte Inszenierung dann mal auf das pechschwarze Weltbild abfärbt, kann aus der erst 35-jährigen Emerald Fennell tatsächlich eine spannende Kinostimme werden. Einstweilen bleibt aber auch sie eine «vielversprechende junge Frau». Zwinker, zwinker.