Wach auf, Amerika!

Der provokativ gesellschaftskritische Horrorthriller «Antebellum» hat noble Botschaften, ein cleveres Konzept, einen halsbrecherischen Twist, visuelle Glanzlichter und einen präsenten Star. Zu einem stimmigen Ganzen will sich das aber nicht recht fügen.

   Impuls

Von Sandro Danilo Spadini

«Django Unchained», «12 Years a Slave», «The Birth of a Nation», «The Free State of Jones», «Harriet»: Dass Filme über die Sklaverei seit gut zehn Jahren quasi Hochkonjunktur haben, liesse sich natürlich auch mit den üblichen ordinären Mechanismen Hollywoods abtun – als einen lauen Trend mit schnöden monetären Motiven dahinter. Geradeso gut kann und darf und soll man womöglich gar tiefer schürfen und in diesen historischen Exkursen nicht nur ein kollektives Bedürfnis nach Aufarbeitung und Erinnerung erkennen, sondern auch ein Gebot der Stunde. Denn nicht nur haben die USA ihr düsterstes Kapitel nie restlos aufgearbeitet und adäquat erinnert, wie an dem nonchalanten Umgang mit den Ikonen und Insignien der Sklaverei evident wird – Stichwort Konföderiertenflagge, Stichwort Militärbasen; sie haben ihre Erbsünde auch nie richtig überwunden und korrigiert – die Wunde des systemischen, institutionalisierten Rassismus klafft heute so heftig wie ehedem, ja heftiger wohl noch, wie sich in all den aktuellen Schauergeschichten über (Polizei-)Gewalt an Schwarzen oder dem zusehends unverhohleneren Zündeln hoher und höchster Würdenträger des Landes zeigt. Es liessen sich mithin sehr wohl Argumente für die These finden, das Thematisieren der Sklaverei entspreche einer aus dem Zeitgeist resultierenden Notwendigkeit. Und ganz genau das machen die Regisseure Gerard Bush und Christopher Renz in ihrem provokativen Erstlingswerk «Antebellum», einem Horrorfilm der sozialkritischen Sorte à la «Get Out».

Albtraum in drei Akten

Die Idee dazu kam Bush in einem Traum – oder besser: einem Albtraum. Und da muss man ihn dann schon beglückwünschen: Im Schlaf ein derart knackiges Konzept zu ersinnen – das ist doch allerhand. Denn eines kann man «Antebellum» – der Titel bezeichnet die Periode vor dem Sezessionskrieg in den US-Südstaaten – nicht vorhalten: dass das nicht smart durchdacht wäre. In drei Akten wird hier aber nicht nur der ganz weite thematische Bogen von der Sklaverei bis zum zeitgenössischen mikroaggressiven Alltagsrassismus geschlagen, sondern auch mit der richtig grossen Kelle angerührt – was für einen Film, der in erster Linie als Horrorfilm vermarktet wird, ja durchaus Sinn ergibt. Den Auftakt bildet eine fünfminütige dialoglose Sequenz auf einer von der Confoderate States Army geführten Baumwollplantage in Louisiana, die surreal anmutet, wunderlich fast; die Bewegungen der Figuren wirken choreografiert, die Inszenierung ist hyperstilisiert, und wie der folgende Rest des ebenfalls im Bürgerkrieg angesiedelten ersten Akts ist das in einer Art Traumästhetik gehalten: Zeitlupen, Farbfilter, Unschärfen, ein gleissendes, gleichsam jenseitiges Licht, die überhöhte Schönheit der Natur. Und dazu kommen dann noch die kryptischen Dialoge, in denen sich die schwarzen Sklaven und an deren vorderster Front das Vergewaltigungsopfer Eden (Janelle Monáe) austauschen und ihren nächsten Zug gegen die weissen Sadisten planen. Diese entrückte Inszenierung schafft einen maximalen Kontrast zu deren grauslichem Gebaren, das wir in aller Schärfe und voller Stärke, genrekonform wenig nuanciert und selten subtil, mit bisweilen brachialen Methoden bereits im Prolog geboten bekommen: von einer Exekution über eine Auspeitschung, eine Brandmarkung und eine Vergewaltigung bis zu physischer Züchtigung und psychischer Demütigung. Und dann, nach rund 40 Minuten albtraumhafter Sklavereigräuel in Surround-Sound und High Definition, klingelt ein iPhone.

Was für eine Pointe!

«Wieder schlecht geträumt?», fragt zu Beginn des zweiten Akts der treuherzige Mann (Marque Richardson), neben dem die ebenfalls von der Sängerin und Gelegenheitsmimin Janelle Monáe («Hidden Figures») gespielte Veronica aufwacht. Wir sind also im Jetzt angelangt, im Leben von Dr. Veronica Henley, einer Intellektuellen, die an der Columbia University in afrikanischer Verfassungsgeschichte promoviert hat und mittlerweile mit wütenden alten weissen Männern im Fernsehen darüber diskutiert, dass die Entrechtung der Schwarzen in die amerikanische DNA eingeschrieben sei. Veronica lebt in einem luxuriös ausgestatteten Apartment, hat ein Bild mit Präsident Obama an der Wand, einen liebevollen Gatten im Bett, eine süsse Tochter, eine gestörte Work-Life-Balance, eine Yoga-Instruktorin, eine vegane Ader, schicke Designerklamotten, ein Gespür für Make-up, turmhohe Hacken und ein neues Buch am Start: über Rasse, Klasse und Gender. Mit anderen Worten: Wir sind nun wirklich im Jetzt. Und dazu gehört eben auch, dass eine schwarze amerikanische Frau noch immer tagtäglich einem zumindest unterschwelligen Rassismus ausgesetzt ist, der bisweilen auch in Form von Komplimenten daherkommt, die versteckte Beleidigungen sind. Das ist das Thema von Akt 2. Und nun, da wir so ganz und gar in diesem wirklich jetzigen Jetzt gelandet sind, fällt uns doch wieder das William-Faulkner-Zitat ein, das zu Beginn eingeblendet worden war: «Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht einmal vergangen.» Was uns das sagen will: wie wir die beiden ersten Akte verknüpfen sollen. Und dass hier gerade auch ein genrefremder, hintergründig realer Horror gepflegt wird, der in der jungen Tradition von Jordan Peele («Get Out», «Us») eine Allegorie auf die Rassenbeziehungen in den USA entwerfen möchte. Wie die bisher vornehmlich mit Werbung und Musikvideoclips betrauten Regienovizen Bush und Renz das dann aber umsetzen, ist nicht nur provokativ, sondern oftmals auch etwas platt und plump und allzu sehr auf das Offensichtliche und Oberflächliche fokussiert; der Erkenntnisgewinn ist denn auch mager. Doch kaum will man den Film abschreiben, folgt da diese Pointe vor dem Schlussakt: ein halsbrecherischer Twist, ob dem es selbst einem M. Night Shyamalan schwindlig werden könnte – nicht weil er so abstrus wäre, sondern weil er so viel cleverer ist als alles, was dieser nach «The Sixth Sense» an Schlussbouquets aufgetischt hat. Doch so beglückend dieses Aha-Erlebnis auch sein mag: Der Weg dahin ist doch recht steinig und holprig. Denn vieles bleibt unvollendet, Stückwerk. So präsentiert sich etwa der Mittelteil reichlich profan im Vergleich mit den bewusst an die Ästhetik von «Gone with the Wind» gemahnenden visuellen Sternstunden des ersten und die bombastischen Ausrufezeichen des letzten Akts. Und während Janelle Monáe in ihrer ersten Hauptrolle mit hoher Präsenz punktet, scheitern die übrigen Darsteller (Jack Huston als tyrannischer Aufseher; Gabourey Sidibe als scharfzüngige Naturgewalt; Jena Malone als Bösewicht in beiden Erzählebenen) letztlich an ihren lieblos simpel gestrickten Figuren. Ein stimmiges Ganzes, zumal formal, aber auch tonal, will sich so allen Talentproben zum Trotz nicht recht ergeben. Aber eben: Dieses Konzept, das ist halt schon verdammt spannend.