von Sandro Danilo Spadini
Es sei ein einziges Chaos, sagt Peter (Christopher Walken) über Beethovens Streichquartett op. 131, das auf Anleitung des Meisters ohne Pausen durchzuspielen sei. Und Chaos wird in der Tat
hereinbrechen über Peter und seine drei Mitmusiker in Yaron Zilbermans «A Late Quartet». Dieses ist freilich weder musikalischer Natur noch filmisch wirklich spürbar in der enorm geordneten Inszenierung des
israelisch-amerikanischen Regiedebütanten. Erwachsen ernsthaft lässt es Zilberman nämlich zugehen in seiner Geschichte um ein weltberühmtes New Yorker Streichquartett: Obwohl Milieu und Gegend
(sowie ein Kurzauftritt von Wallace Shawn) nachdrücklich an Woody Allens «Manhattan» gemahnen, ist das Geschehen frei jeglicher Ironie; und wiewohl hier ein Jung-
spund erstmals den Taktstock
schwingen darf, fehlt jede Verspieltheit. Stattdessen drückt ständig das Gefühl durch, dass hier einer seinem Thema gerecht werden wollte. Kein Meisterwerk zwar wird mit «A Late Quartett» wohl
angedacht gewesen sein, kein Stück für die Ewigkeit – dafür ist der Ton zu dezent gewählt und das von Zilberman mitverfasste Skript zu dünn. Aber ein Achtungserfolg sollte es schon werden: ein
Film eines jungen Künstlers über alte Künstler, die von grossen Künstlern verkörpert werden.
Nie mehr zweite Geige!
Das ist jetzt ein bisschen viel Kunst auf einmal. Aber beinahe wäre Zilberman der – relativ – grosse Wurf geglückt; jedenfalls trifft er den Ton ordentlich oft. So etwa, wenn Peter seinen
Kollegen verkündet, dass er frühe Symptome von Parkinson zeige; für ein, zwei Saisons würde es vielleicht noch reichen, doch er habe entschieden, dem Quartett nach 25 Jahren Ade zu sagen. Es ist
das der Paukenschlag, der die Handlung in Gang setzt. Und es ist eine ungemein berührende Szene, die einen daran erinnert, was für ein grossartiger Mime der am Sonntag 70-jährig werdende
Christopher Walken eigentlich ist. Man hat das ja schon beinahe vergessen angesichts der rund 60 Filme in den letzten 20 Jahren, in denen er fast nur noch auf seine Ticks reduziert wurde (wie
zuletzt in «Seven Psychopaths»). Walken ist als gütig langmütiger Ziehvater des Quartetts vielleicht so etwas wie der Lieblingsspieler Zilbermans; doch auch die übrigen drei erhalten jenen raren
Freiraum, den Hochbegabte wie sie zur vollständigen Entfaltung brauchen. Die spannendste Figur ist dabei Philip Seymour Hoffman vergönnt, dessen Robert es satt hat, buchstäblich wie
sprichwörtlich die zweite Geige zu spielen. Als ihm seine Mitmusikerin und Ehefrau Juliette (Catherine Keener) kundtut, sie und Ensemblegründer Daniel (Mark Ivanir) hielten wenig von seinem
Aufstieg in der Quartett-Hierarchie, brennen bei ihm die Sicherungen durch: Kurzerhand hüpft er mit einer rassigen Flamencotänzerin (Liraz Charhi) ins Bett und schafft es nicht einmal einen Tag
lang, das vor Juliette zu verbergen.
Bitte mehr Leidenschaft!
Nun kommen also Lust und Liebe ins Spiel, was nicht unwillkommene Würze ins leicht unterkühlte Geschehen im winterlichen Manhattan bringen könnte. Er solle doch seiner Leidenschaft freien Lauf
lassen, muss sich alsdann Daniel von dem nach 25 Jahren Routine gelangweilten Robert sagen lassen. Und Ähnliches wünscht man sich im Publikum nach all den affektierten Dissonanzen und
akademischen Diskussionen über Egos und Ehrgeiz jetzt auch mal von der Regie. Bei beiden jedoch, bei Daniel wie Zilberman, geht der Schuss nach hinten los, wenn sie sich endlich ein Herz fassen.
Denn gerade diese Momente, wenn die Tonlage wechselt und vom Melancholischen ins (Seifen-)Opernhafte vorgeprescht wird, sind es, wo Zilberman die Treffsicherheit abhandenkommt. Statt Würze
resultiert denn auch eher Schmalz, als Daniel mit Juliettes und Roberts Tochter (Imogen Potts) anbandelt. Immerhin besinnen sich beide noch beizeiten: Daniel beendet die unangemessene Affäre; und
Zilberman findet rechtzeitig zum Finale wieder in die richtige Tonspur. Hier zeigt sich nun, dass in den letzten 100 Minuten dieses Kammerspiels über Kammermusiker sehr wohl eine emotionale
Bindung zu den Figuren entstanden ist. Und das ist dann doch einen Applaus wert.