So kommet doch endlich, ihr Kinderlein!

Independent-Regisseur John Sayles porträtiert in seinem neuen Film sechs US-amerikanische Frauen, die sich in Lateinamerika mittels Adoption ihren Traum von Mutterschaft erfüllen wollen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es sind sechs Frauen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, die hier, in dieser namenlos bleibenden lateinamerikanischen Stadt, eine von Spannungen und Eifersüchteleien belastete Zweckgemeinschaft bilden. Sechs bewegende Schicksale, die John Sayles («Lone Star») in seinem neuen Film «Casa de los Babys» nach und nach enthüllt. Sechs ungeduldig Wartende, die der Traum vom eigenen Kind ein. Fette, korrupte Parasiten seien diese reichen Amerikanerinnen, glaubt der von antiamerikanischem Gedankengut beseelte Sohn von Señora Muñoz, die mit der titelgebenden Casa de los babys ein nicht über alle moralischen Zweifel erhabenes Geschäft mit Adoptionen betreibt. Und tatsächlich macht es zunächst den Eindruck, als ob sich hier eine Gruppe selbstgefälliger, ignoranter Touristentussis auf Baby-Shopping-Tour befinde, die ob der aufgrund bürokratischer Hindernisse sich scheinbar endlos hinziehenden Abwicklung ihres «Geschäfts» allmählich den Mut und die Nerven zu verlieren scheint. Doch ganz so einfach macht es Sayles einem dann doch nicht, wenn es darum geht, die Ethik-Frage in dieser Geschichte schlüssig zu beantworten. Es bleibt, wie so oft bei ihm, das meiste letztlich im Graubereich; es werden, und auch das zeichnet die Filme des gerne als «Gewissen des unabhängigen amerikanischen Kinos» bezeichneten Indie-Regisseurs aus, zwar viele Fragen aufgeworfen, selbige zu beantworten, überlässt Sayles aber freundlicherweise dem Publikum.

Beide Seiten der Geschichte

Geschildert werden in «Casa de los Babys» beide Seiten, thematisiert wird somit auch der Zusammenprall der Kulturen. Neben jenen der sechs US-amerikanischen Protagonistinnen streift Sayles auch die Geschichten einiger Einheimischer: Wir treffen einen arbeitslosen Mitdreissiger, der davon träumt, das in seiner Heimat herrschende Chaos hinter sich zu lassen. Wir erfahren von einer zerbrechlichen 15-Jährigen, die sich hat schwängern lassen und auf Drängen ihrer resoluten Mutter in der Casa de los babys vorstellig wird. Wir hören einem melancholischen Zimmermädchen zu, wie es davon berichtet, dass es ihr Kind zur Adoption hat freigeben müssen. Wir lauschen den aufgeregten Diskussionen von Señora Muñoz’ Sohn und seinen Revoluzzer-Freunden. Und wir sehen auch die Strassenkinder, die von ihren Eltern allein gelassen wurden und sich nun mit kleinkriminellen Aktivitäten über Wasser zu halten versuchen. Nicht zuletzt angesichts solcher Bilder fällt es schwer, das Handeln und die Motivation der sechs adoptionswilligen Frauen kategorisch infrage zu stellen.

Besetzung als Erfolgsgeheimnis

Keineswegs schwer fällt es freilich, Bewunderung dafür zu finden, wie subtil und raffiniert Sayles die Schicksale einer solchen Fülle von Figuren in einen nur rund 90-minütigen Film verpackt und sich darüber hinaus auch noch auf höchst differenzierte Weise einem überaus heiklen Thema anzunähern versteht. Schenkt man Sayles’ Worten Glauben, so betrug sein Anteil am Gelingen von «Casa de los Babys» aber nur gerade fünf Prozent; der Rest sei bereits mit der Besetzung der Hauptfiguren eingefahren gewesen. Wenngleich hier ein gewisser Hang zum Understatement auszumachen ist, kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass das Casting in der Tat der Schlüssel zum Erfolg gewesen sein mag. Eingedenk ihrer vergleichsweise jeweils nur spärlichen Präsenzzeit ist es durchaus beeindruckend, mit wie viel Tiefe die Darstellerinnen ihre Figuren auszustatten vermocht haben. Ob Lili Taylor als zynisch-desillusionierte Single-Frau, Mary Steenburgen als still-bescheidene Ex-Alkoholikerin, Susan Lynch als irisch-katholische Arbeiterin, Daryl Hannah als einzelgängerisch-esoterische Fitnessfanatikerin, Maggie Gyllenhaal als unsicher-naive Bonzengattin oder Marcia Gay Harden als rassistisch-bornierte Nörglerin – sie alle erfüllen ein hervorragend geschriebenes Drehbuch mit Leben, und zwar mit richtigem, realem Leben. John Sayles seinerseits outet sich mit seinem neuen Film nicht bloss als Frauenversteher, sondern rechtfertigt überdies einmal mehr seinen Ruf als unaufdringlich-kritischer Geist und als einer der spannendsten, intelligentesten und versiertesten Filmemacher des zeitgenössischen amerikanischen Autorenkinos.