In der Rache liegt die Kraft

Der bedenklich blutrünstige Rachethriller «Man on Fire» vermag wohl ordentlich zu unterhalten, strapaziert aber die Nerven mit einer dünnen wie konfusen Story und allerlei formalen Mäzchen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Alle 60 Minuten ereigne sich in Lateinamerika eine Entführung, lässt uns zu Beginn von «Man on Fire» ein Insert wissen. Ein besonders florierendes Geschäft mit Kindsentführungen wird etwa in Mexico City betrieben, wo der ab- wie ausgebrannte Ex-CIA-Agent Creasy (Denzel Washington) sich als Leibwächter eines forschen Industriellen-Töchterchens verdingt hat, das ihm bald einmal ans Herz wächst und ihm neue Daseinsfreude schenkt. Als sein Schützling dann aber tatsächlich entführt wird, brennen beim rekonvaleszenten Haudegen sämtliche Sicherungen durch: Auch physisch arg lädiert, macht er sich auf, die Übeltäter auf eigene Faust zur Rechenschaft zu ziehen und sie in einem sich kontinuierlich steigernden Blutrausch reihenweise über den Haufen zu ballern.

Fragwürdige Hauptfigur

Regisseur Tony Scott («Spy Game») und Drehbuchautor Brian Helgeland («Mystic River») haben hier ein spannendes Thema aufgegriffen, mit dem sie sich eingedenk der stattlichen 146 Minuten Laufzeit ihres Films auch etwas eingehender befassen können. Gleichwohl ist «Man on Fire» vor allem ein Actionfilm – und zwar kein sonderlich intelligenter: Reichlich ärgerlich ist der nonchalante Umgang mit der Logik, gänzlich unreflektiert fällt die Verhandlung über Gewaltanwendung und Selbstjustiz aus. Völlig undifferenziert und ohne einen Anflug von moralischem Dünkel mit dem Protagonisten im Bunde stehend, ergötzt sich die Regie an der Inszenierungen von immer roheren und hemmungsloseren Gräueltaten und gibt sich einem durch die etwas plakativ vermittelten anarchischen Zustände kaum gerechtfertigten Gewaltexzess hin. «Grausamkeit wirkt wie eine Sucht. Sie benötigt immer stärkere Dosierungen. Sie fordert geradezu die Innovation, die kreative Abwechslung, um die drohende Langeweile zu vertreiben», hat der Philosoph Wolfgang Sofsky einmal geschrieben. Nachgerade verinnerlicht hat Scott dieses Dogma, was denn auch den eigentlich als Sympathieträger angelegten Creasy zu einer höchst fragwürdigen Erscheinung macht. Mag sein Amoklauf anfänglich noch mit Wut, Trauer und seiner ohnehin angeschlagenen Psyche erklärt werden, so verwandelt er sich zusehends in einen grobschlächtigen Racheengel, der seine Taten mit spürbarer Lust ausführt.

Stilisierte Bildsprache

Nun hat aber «Man on Fire» sehr wohl Qualitäten, die einen Unterschied zum x-beliebigen Dolph-Lundgren-Videopremierenmüll machen. Als da wäre die Besetzung, die Charakterköpfe wie Christopher Walken, Giancarlo Giannini und – mit leider viel zu kurzen Einsatzzeiten – der wieder gesünder als auch schon ausschauende Mickey Rourke komplettieren. Eine echte Entdeckung ist gar die 10-jährige Dakota Fanning, wenngleich sich ihre Figur natürlich fürchterlich altklug geben muss. Überdies ist da Scotts hochgradig stilisierte Bildsprache, die bisweilen an jene erinnert, die sein Bruder Ridley in «Black Hawk Down» eingesetzt hat. Exzessiv, gleich einem hippen MTV-Hüpfer auf Koks setzt Routinier Scott gerade in den Schlüsselszenen Mittel der Verfremdung und Verzerrung wie Zeitlupen, Farbfilter oder Belichtungstricks ein und greift immer wieder auf die Handkamera sowie eine fiebrig-hektische Schnitttechnik zurück. Die Absicht, einem damit und dem recht irritierenden Wirrwarr auf der Tonspur ein Bild von der emotionalen Verfassung der Hauptfigur, vom allgegenwärtigen Chaos zu vermitteln, ist wohl deutlich erkennbar und an sich clever, doch funktioniert die Sache auch wegen des zu sachlichen Spiels des braven Denzel Washington nur halbwegs. Oftmals strapazieren diese sich in übertriebener Spiellust und Selbstverliebtheit verlierenden formalen Mäzchen auch einfach nur die Nerven und verschleiern den Blick auf die etwas konfuse und dabei ziemlich dünne Handlung, die ungeachtet aller optisch dargebotenen Raserei erst nach einer als ziemlich lang empfundenen Stunde Fahrt aufnimmt. Dass «Man on Fire» letztlich aller Längen, Logiklöcher, überspannten Bögen und moralischen Bedenklichkeiten zum Trotz doch noch ordentlich unterhält, muss daran liegen, dass hier schlicht zu viele Leute mit grundsätzlich überdurchschnittlichem Talent am Werk waren. Und wie hat Sofsky auch noch gesagt? «So grausam die Gewalt, so bestialisch die Marter, für den Zuschauer bleibt es ein Schauspiel.»