Wisst ihr denn nicht, dass die Welt untergeht?

Kalter Krieg, heisse Gefühle: Sally Potters «Ginger & Rosa» ist ein wunderschön fotografierter und toll gespielter Film über das Erwachsenwerden in den Sechzigern.

 

von Sandro Danilo Spadini

Erwachsen zu werden, kann schon beängstigend genug sein. Doch wie verstörend muss es sein, wenn sich zur Angst vor dem Leben noch die Furcht vor dem Ende der Welt gesellt? Gerade das fragt sich die 63-jährige Arthouse-Regisseurin Sally Potter in ihrem erst siebten und bislang zugänglichsten Film «Ginger & Rosa»; und wohltuenderweise tut sie das quasi auf Augenhöhe mit ihren 17-jährigen Titelheldinnen und nicht mit dem gönnerisch-weisen Blick herab auf einen jugendlich-naiven Weltschmerz. Sie tut es ergo mit dem gebührenden Ernst – und der ist umso angebrachter, als die Zeit des Geschehens von geradezu bitterernsten Sorgen beherrscht ist. Ultimativ schrecklich geht es schon los in diesem 90-Minüter: mit Bildern von Hiroshima am 6. August 1945. Und «die Bombe» wird auch im London des Jahres 1962 allgegenwärtig sein, in das Potter nach einer keine Minute dauernden und 17 Jahre umfassenden Montage eines jungen Lebens schwenkt.

Intellektuelle überall

Dieses Leben gehört Ginger (Elle Fanning) und steht also kurz vor der Blüte. Dem Teenager, der stets die Sonne im roten Haar trägt, ist die Lust auf die Dinge, die da kommen mögen, denn auch ins pausbäckige Gesicht geschrieben. Gleichzeitig ist da freilich noch ein anderes, ein zur Last werdendes Erwachen: das politische. Ihren pazifistischen Revoluzzer-Vater Roland (Alessandro Nivola) mag es zwar freuen, dass Ginger, die noch ihre Teddys ins Bett nimmt, schon die Existenzialisten liest – in Zeiten eines drohenden nuklearen Holocausts gibt derlei aber vor allem einen gewaltigen Pessimismusschub. Nur in den ersten 20 Minuten gesteht Potter dieser bemerkenswerten jungen Frau denn auch jene Unbeschwertheit zu, auf die ein so junges Leben Anrecht hat: Mit einer aufgeregten Abfolge kurzer Sequenzen spiegelt sie dort kongenial die adoleszente Hibbeligkeit und schildert ein wundervoll fotografiertes Irrlichtern zwischen ersten Zigaretten und letzten Dingen, Schulschwänzen und Protestkundgebungen, lustigen Jungs und ernsten Männern, Mädchenmagazin und Simone de Beauvoir. Klar wird dabei, wieso der Film «Ginger & Rosa» und nicht umgekehrt heisst. Denn Potters Skript ist so hierarchisch wie parteiisch und interessiert sich einzig für die Sicht Gingers und deren Umfeld: für die Spannungen am Küchentisch; für das Abwenden von der vermeintlich langweiligen Mutter (die Akkordeon-affine Christina Hendricks aus «Mad Men»), die Ginger eine «kleine Schlampe» schilt; für die Zuflucht beim so spannend scheinenden Vater, der seine Tochter als «geborene Radikale» sieht; für die Plaudereien mit einem distinguierten Intellektuellen-Trio (Oliver Platt, Timothy Spall, Annette Bening). Rosa, dargestellt von der hier debütierenden Alice Englert aus «Beautiful Creatures», ist für Potter derweil nur so weit von Belang, wie sie das Wohl und Wehe ihrer Busenfreundin beeinflusst. Das tut sie indes spätestens dann in beträchtlichem Mass, als sie mit Roland anbändelt: diesem Abziehbild des geilen Freigeists, der sich in selbstverliebter Verantwortungslosigkeit noch an die jüngsten Dinger ranmachen muss mit seinen gefühligen Kriegsgefängnisgeschichten und den philosophischen Merksprüchen.

Ein 15-jähriges Naturtalent

Um Verantwortung geht es in diesem Coming-of-Age-Drama ganz wesentlich, und zwar um die persönliche wie die politische. Derweil sie ihren Papa bei Ersterer so billig scheitern sieht, wird Ginger von Zweiterer beinahe erdrückt: «Wir wissen von der Bombe. Glücklich zu sein, ist nicht wirklich eine Option», schreit sie einmal die Welt an, der gerade die Kuba-Krise bevorsteht. Der Film hingegen ersäuft nicht in Trübsinn, wenn die nukleare Katastrophe zwar ausbleibt, die persönliche aber umso heftiger einschlägt. Das hat zum einen mit der begeisternden Ella Fanning zu tun, diesem am Dienstag 15-jährig gewordenen Naturtalent aus Georgia, dem auch der britische Akzent ganz ungezwungen über die Lippen kommt. Zum anderen mit einer Regisseurin, die selbst im staubigsten Raum die Sonne einfallen lässt und den Ton immer wieder mit Jazz und Rock ’n’ Roll aufhellt – gerade so, als ob sie ihrer Ginger nicht noch die letzte Hoffnung und Freude auf diese Welt rauben wollte.