Mörderische Nächte in Alaska

In seinem atmosphärisch dichten, psychologisch packenden Remake des norwegischen Thrillers «Insomnia» schart «Memento»-Regisseur Christopher Nolan drei Oscar-Preisträger um sich.

 

von Sandro Danilo Spadini

Remakes und Literaturverfilmungen teilen dasselbe Schicksal miteinander: Nur selten erreicht die Kopie die Klasse des Originals, und selbst wenn, ist kaum ein kritischer Rezipient bereit, dies zu würdigen. Besonders verpönt sind – nicht zuletzt wegen der oft auf Hollywood-Tauglichkeit abgeänderten Plots – amerikanische Neuverfilmungen europäischer Kinohits. Jüngst erntete Cameron Crowe mit dem auf dem spanischen Psychothriller «Abre los Ojos» basierenden «Vanilla Sky» gemischte Kritiken. Zweifellos unbefriedigend waren meist gar von europäischen Regisseuren gedrehte Remakes eigener Filme – siehe die Niederländer Dick Maas («Down», 1982/2001) und George Sluizer («Spoorloos», 1988/92) oder den Dänen Ole Bornedal («Nattevagten», 1994/97). Eine der wenigen Ausnahmen dieser Regel bildet ein kleiner, dicker Engländer namens Alfred Hitchcock: Dieser verfilmte 1955 seinen noch in der Heimat gedrehten 1934er-Hit «The Man Who Knew Too Much» mit grossem Erfolg nochmals für das amerikanische Kino.
 
Stars an Bord

Den mehr visuell als in puncto Handlung erstaunlichen norwegischen Thriller «Insomnia» (Erik Skjoldbjaerg; 1997) hat nun mit Christopher Nolan einer der derzeit hoffnungsvollsten Jungregisseure neu verfilmt. Nolans in narrativer Hinsicht gleichsam revolutionärer Krimi «Memento» (2000) gehört zu den absoluten Kino-Highlights der letzten Jahre und darf schon jetzt als Klassiker bezeichnet werden. Ein Remake hat man sich von dem erst 32-jährigen Engländer nicht unbedingt als Nachfolgeprojekt erhofft, ein Blick auf die Besetzung weckt aber Hoffnungen: Mit Al Pacino, Robin Williams und der wunderbaren Hilary Swank («Boys Don’t Cry») sind gleich drei Oscar-Preisträger mit an Bord.

Geglücktes Remake

Und tatsächlich ist Nolan ein trotz «amerikanisierten» Finales äusserst atmosphärisches und stimmiges Remake geglückt. «Insomnia» spielt in Alaska, und zwar dort, wo im Sommer die Sonne niemals untergeht. Die Cops Dormer (Pacino) und Eckhart werden von L.A. an den Polarkreis geschickt, um den Mord an einer 17-Jährigen zu untersuchen. Bei einem chaotischen Einsatz tötet Dormer versehentlich seinen Partner – vor den Augen des Killers (Williams). Fortan ist es nicht mehr bloss die Mitternachtssonne, die Dormer um den Schlaf bringt. Optisch opulent, vorzüglich vertont, psychologisch packend und sich inszenatorisch intelligent dem titelgebenden Thema Schlaflosigkeit nähernd, erzeugt mit «Insomnia» ein weiterer Nolan-Film einen gewissen Sog. Nach geradlinigem Auftakt, der gleich in mehrfacher Hinsicht stark an David Lynchs Pilotfilm zu «Twin Peaks» erinnert, drosselt Nolan das Tempo und schafft so Freiräume für die Stars, welche deren überragendes Können zur vollen Entfaltung kommen lassen. Auch wenn «Insomnia» nicht an «Memento» heranreicht, ist er doch in jedem Fall ein weiterer Beweis für das immense Potenzial seines Regisseurs. Und was amerikanische Remakes angeht, so ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Derzeit arbeitet Hollywood an einer Neuauflage des bereits 1996 verfilmten Nick-Hornby-Fussballromans «Fever Pitch» – angesiedelt im Baseball-Milieu...