Banken und böse Buben in Boston

«The Town» ist Ben Afflecks mit Spannung erwartete zweite Regiearbeit: eine Mischung aus «Heat» und «The Departed» – und wie der Erstling ein Thriller der Extraklasse.

 

von Sandro Danilo Spadini

Clint Eastwood hat es vorgemacht: Mimisch limitiert, machte er später als begnadeter Regisseur manch ungünstiges Vergangenes vergessen. Auch Ben Afflecks darstellerisches Tun hat schon öfters zu Beanstandungen Anlass gegeben. Und wenn der 38-Jährige drei Jahre nach der Dennis-Lehane-Adaption «Gone Baby Gone» nun im zweiten Versuch seine zweite Top-Regiearbeit vorlegt, ist auch bei ihm die cineastische Rehabilitation im Gang. Dass Affleck in «The Town», einer erneuten Romanverfilmung, die Hauptrolle für sich beansprucht, ist zwar just so zweckwidrig, wie es gewisse von Eastwoods derartigen Doppelfunktionen waren; doch federt er das ab, indem er sich vor der Linse von einigen sehr aufregenden Senkrechtstartern inspirieren lässt: Jeremy Renner («The Hurt Locker») und Rebecca Hall («Vicky Cristina Barcelona») aus dem Kino, «Mad Man» Jon Hamm und «Gossip Girl» Blake Lively aus dem TV – bei solch geballtem Talent strengt man sich halt extra an, damit die eigene schauspielerische Wenigkeit nicht gar so sehr abfällt.

Der Zufall spielt mit

Wie schon für «Gone Baby Gone» ist Affleck auch diesmal gleich zu Hause geblieben. Zu Hause bedeutet in seinem Fall Boston, und die Reisefaulheit zeitigt wiederum Freudiges: Dass Affleck kennt, wovon er dreht, ist dem aus Chuck Hogans «Prince of Theives» geschneiderten Film jederzeit anzumerken. Eine Vergangenheit (und Gegenwart) als Bankräuber, wie sie der von ihm gespielte Doug MacRay hat, soll ihm damit freilich nicht gleich unterstellt werden – so populär ebendieser Berufszweig in dem irisch geprägten Viertel Charlestown (kurz: «The Town») auch sein mag. Nirgendwo sonst auf der Welt würden mehr Geldhäuser überfallen, lässt uns die Ouvertüre wissen, und das unlautere Schaffen werde hier quasi vom Vater an den Sohn weitergegeben. Wer aus dem «Town» kommt und nicht höllisch aufpasst, trägt denn auch bald einen Rucksack voller Sünden mit sich rum und hat Verbindungen zur Unterwelt, die sich wie Stahlketten um einen legen. So auch bei Doug, dessen Papa (Chris Cooper) derzeit auf Staatskosten Busse tut und welcher selbst ebenfalls schon reichlich Knasterfahrung hat. Dies obwohl er ziemlich gut ist in dem, was er tut; die Präzision, mit der er und seine Komplizen zu Filmbeginn eine Bank ausnehmen, beeindruckt jedenfalls. Alles glatt gelaufen ist bei der Sache gleichwohl nicht. Jugendkumpel James (Renner) etwa hatte sich unnötig gereizt gezeigt, und die Bankmanagerin Claire (Hall) musste man obendrein als Geisel mitnehmen. Dass Claire sich nach ihrer Freilassung auch noch als Nachbarin erweist, schmälert die Überfallbilanz zusätzlich. Um die unabsehbaren Folgen dieses Zufalls in Grenzen zu halten, greift Doug zu unorthodoxen Mitteln: Er macht sich an Claire ran, horcht sie scheinheilig aus – und verliebt sich letztlich aufrichtig in sie.

Steter Rhythmuswechsel

Die Auslegeordnung ist nach 20 Minuten gemacht. Fortan ist alles eine Frage der Zeit: bis es zum Showdown mit FBI-Agent Frawley (Hamm) kommt; bis Doug von Claire entlarvt wird; bis die tickende Bombe James hochgeht. Mit seinem 3-Fronten-Kampf ist «The Town» eine dieser Geschichten, die nicht gut enden können – und ein Stoff, für dessen Verfilmung sich eigentlich Michael Mann aufdrängte. Kein Wunder, erinnert Afflecks Zweitling mehr noch als an die grossen Bostoner Kriminaldramen wie «The Departed» an Manns Klassiker «Heat». In dessen Rausch von Actionfurioso und Gefühlsstürmen gelangt «The Town» zwar nicht; doch treten auch hier die auffallend zahlreichen ruhigen Szenen in ein spannungsgeladenes Verhältnis mit den fachmännisch choreografierten Gewalteruptionen. Den Rhythmus hat Affleck dabei stets voll im Griff, und auf die Stärke der Vorlage vertrauend, lässt er auch sonst den Ball rollen und filmt nicht für sich und die Galerie. Zum eigenen Nutzen setzt er derweil sich selbst in Szene, indem er sich einigen Raum zur Entfaltung gönnt. So statthaft das ist, so klar wird er dabei freilich überstrahlt von seinen Mitstreitern, allen voran von Jeremy Renner, der eine hochexplosive Performance zwischen James Cagney und Robert Mitchum abliefert. Für ihn ist «The Town» das zweite dicke Ausrufezeichen in der Filmografie – für den Regisseur Ben Affleck gilt das uneingeschränkt ebenso.