All die falschen Götzen

Das Comeback des guten alten Erotikthrillers läutet «Fair Play» zwar leider nicht ein. Ein gewisses Retro-Feeling stellt sich aber gleichwohl ein in diesem stimmig und fesselnd inszenierten fiesen kleinen Psychodrama über zwei Erfolgsverwöhnte, deren Beziehung von Ambition und Eitelkeit nach und nach vergiftet wird.

Netflix

von Sandro Danilo Spadini

Halb fünf ist es, als der Wecker des iPhone klingelt. Viel Zeit, um die durchzechte vergangene Nacht aus den Knochen zu schütteln, bleibt Emily (Phoebe Dynevor, «Bridgerton») und Luke (Alden Ehrenreich, «Oppenheimer») aber nicht. Eine kurze Dusche, ein schneller Espresso, und rein geht es in die schicke Business-Rüstung, raus auf die im Halbdunkel schlummernden Strassen von Manhattan, runter in die U-Bahn, rauf in den Wall-Street-Wolkenkratzer und mitten hinein ins Haifischbecken des Analystenpools eines Hedgefonds – den Blick natürlich immer schön auf die Raubtierkapitalistenkäfige an der Fensterfront gerichtet; dorthin, wo die Chefs sitzen, die es zu beeindrucken gilt, und dorthin also, wo die beiden frischverlobten Endzwanziger selbst hinwollen. Denn Emily und Luke, die wir in der Eröffnungssequenz als ein bisschen verrücktes und durchaus sympathisches Paar kennen gelernt haben, sind beide versessen auf ihre Karriere, besessen von Status, zerfressen von Ambition – waschechte Wall-Street-Zombies halt. Und nun scheint es so, als ob ihre Gebete erhört würden – oder wenigstens: seine Gebete. Als einer der Fensterfront-Typen gefeuert wird, gilt Luke als Favorit auf seine Nachfolge. So schneidet Emily an ihrem Pult jedenfalls die News aus der Gerüchteküche mit, die sie brühwarm, aber wegen des Verbots von Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz mit aller gebotenen Diskretion an ihren verheimlichten Lover weiterreicht. Umso grösser ist dann ihre Verwunderung, als ihr Boss (Eddie Marsan) ihr nachts um zwei bei einem Macallan 25 («pur!») an der Bar eröffnet, er sei schwer beeindruckt von ihrer Vita (Harvard! Citi! Goldman Sachs!) und er daher sie auf den vakanten Posten hieven werde. Luke indes reagiert auffallend gelassen auf diese Volte. «Ich freue mich so für dich!», sagt er. Und: «Ich bin so verdammt stolz auf dich!» So ganz abkaufen will Emily ihm das aber nicht – und wir schon gar nicht. Schliesslich ist uns «Fair Play» als Comeback des Erotikthrillers angekündigt worden: als eine saftige Mischung aus «Fatal Attraction» und «Wall Street».  
 
Früher war mehr Fun
 
Dass wir hier grundsätzlich skeptisch sein und das Schlimmste erwarten sollten, das legt uns die in ihrem Spielfilmdebüt auch das Drehbuch verantwortende Regisseurin Chloe Domont («Billions») dann auch von aller Anfang an nahe. Entsprechend rasch wird klar, dass es sich bei «Fair Play» so gar nicht um eine dieser heiteren Arbeitsplatz-Romanzen handelt, sondern eher das Gegenteil davon: Die Sprache ist ruppig, die Machokultur an der Wall Street noch immer virulent, die New Yorker Szenerie vorzugsweise sparsam ausgeleuchtet, und die von Belgrad (!) gedoubelte Stadt präsentiert sich so rau und laut, dass man sich bisweilen in den Achtzigern wähnt. Auch die ganzen seelenlosen Yuppies passen eigentlich gut ins Retrobild; doch haben sie weit weniger Spass als die Gordon Gekkos von damals. Überhaupt ist das hier nicht so viel Fun wie zu den Zeiten der ikonischen Auftritte von Michael Douglas – alles viel ernster, politischer, gesellschaftskritischer und nicht zuletzt: züchtiger. Entsprechend klein geschrieben werden muss denn auch der erste Teil der Genrezuschreibung «Erotikthriller»: Zwar wird hier durchaus oft und ausgiebig kopuliert, dies indes immer mehr oder weniger vollständig bekleidet – das Schlüpfrige erschöpft sich dabei zum grössten Teil in Dirty Talk. Und auch das Thriller-Element wird mehr über das Verbale gespeist und in den Bereich des Psychologischen umgelenkt: in Horrorszenen einer sich erst anbahnenden Ehe, nachdem sich die Machtverhältnisse zwischen diesen beiden Säulen der Leistungsgesellschaft derart abrupt umgekehrt haben. Da kommt es dann zu (ungewollten) Demütigungen, wenn sie ihm verspricht, dafür zu sorgen, dass er bei der nächsten Beförderung berücksichtigt werde, und zu passiv-aggressivem Verhalten seinerseits, wenn er ihr anstelle von leidenschaftlichem Sex nur mehr einen Kuss auf die Backe spendiert – bis sich das Frostklima zur unvermeidlichen Eskalation auswächst und es keine Passivität mehr gibt, sondern nur noch blanke Aggression.
 
Gross auftrumpfende Hauptdarstellerin
 
In dem sich allmählich entfaltenden Krieg der Geschlechter hat Emily freilich einen gehörigen Startnachteil: Sie ist die einzige Frau weit und breit in diesem testosterongeschwängerten Umfeld und muss sich nicht nur der mal mehr, mal weniger subtilen Attacken ihres Partners erwehren, sondern auch den kritischen Blicken und abschätzigen Worten ihrer Kollegen und Vorgesetzten standhalten und sich am besten aufführen wie «one of the boys». Schwäche zu zeigen, geht da gar nicht – auch nicht, wenn sie nach einem vermasselten Investment in den Augen ihres nicht allzu gendersensibilisierten und achtsamen Bosses vom Wunderkind zur «dumb fucking bitch» schrumpft, zur dummen Drecksschlampe. Und schon gar nicht, wenn es darum geht, die Verluste wieder wettzumachen. Dann wird in bester Casinokapitalismus-Manier der Einsatz erhöht – auf Teufel komm raus. Und der Teufel, der kommt schliesslich tatsächlich raus. So wie das eben passiert, wenn man all die falschen Götzen anbetet. Unser Mitleid hält sich entsprechend in Grenzen – was indes zuallerletzt an den beiden Stars liegt: Alden Ehrenreich schafft es mit Hundeblick bis weit ins zweite Drittel hinein, den einen oder anderen Sympathiepunkt für seinen latenten Loser einzuheimsen, derweil Phoebe Dynevor einen derart zu bezirzen vermag, dass man über die charakterlichen Defizite ihrer Figur glatt hinwegsehen möchte. Und dass die beiden – in guten wie in schlechten Zeiten – so prächtig miteinander harmonieren, macht die Sache erst recht prickelnd, auch wenn die Atmosphäre stetig eisiger wird und im an der Grenze zum Kruden torkelnden letzten Drittel ins regelrecht Brutale kippt. Da kann auch der doch recht billige Look dieses für kleines Geld produzierten Psychodramas nichts mehr kaputtmachen, das am Sundance-Festival für Furore sorgte und dann in einem Bieterkrieg für 20 Millionen Dollar von Netflix erworben wurde. Für einmal gut angelegtes Geld, muss man da dem Streaminggiganten Tribut zollen. Nur eben das lang ersehnte Comeback des Erotikthrillers – das ist «Fair Play» dann leider immer noch nicht.