Wein, Weib und Antidepressiva

Alexander Payne schickt in seinem schlichten und schlicht grandiosen Film «Sideways» zwei Freunde auf eine von Liebesturbulenzen begleitete Reise durch das kalifornische Weingebiet.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das erste Wort, das man in «Sideways» zu hören bekommt, ist ein standesgemässes «Fuck». Schlaftrunken gekrächzt wird dieser unfeine Ausdruck der Missbilligung von Miles (Paul Giamatti), einem Mann, dessen Leben in letzter Zeit überaus bescheiden verläuft und der aus seiner daraus resultierenden Verstimmung auch keinen Hehl machen mag. Ein Lichtlein in der mondlosen Nacht seines Daseins findet der von seiner Scheidung traumatisierte, Antidepressiva schluckende und vergebens auf die Veröffentlichung seines Romans wartende Autor nur mehr in der Welt der Weine. Und insofern beginnt es im Leben des Enddreissigers an diesem Morgen im wahrsten Sinne zu tagen, zumal ein einwöchiger Trip durch das malerische kalifornische Weingebiet ansteht. Sinn und Zweck dieses Trips ist für Miles allerdings kein therapeutischer, sondern vielmehr ein altruistischer, gilt es doch seinem in Kürze in den Stand der Ehe tretenden Freund Jack (Oscar-nominiert: Thomas Haden Church) einen kultivierten verlängerten Junggesellenabend zu bereiten. Einmal unterwegs, ist Jack indes unerwartet unempfänglich für Miles’ önologische Ausführungen und mehr daran interessiert, während seiner letzten Tage in Freiheit nochmals das eine oder andere auswärtige Nümmerchen zu schieben. Und in der Tat dauert es nur bis zum ersten ausgeschlafenen Kater, bis Jack sein Ziel erreicht hat und sich im Bett der unkomplizierten Kellnerin Stephanie (Sandra Oh) findet. Manchen gibts der Herr halt im Schlaf, derweil andere – wie unser Held beziehungsweise Antiheld Miles – sich auch dann noch ungelenk abmühen, wenn sie ihrem perfekten Seelenverwandten – in Person der liebenswerten Weinkennerin Maya (ebenfalls Oscar-nominiert: Virginia Madsen) – begegnen. 

Traumhafte Besetzung

Mit Miles, Jack, Maya und Stephanie präsentiert Regisseur Alexander Payne in seiner Tragikomödie «Sideways» vier ungeachtet all ihrer unabstreitbaren Unzulänglichkeiten ungemein sympathische, weil menschliche Protagonisten, in deren Gesellschaft man sich zu jeder Zeit ausgesprochen wohl fühlt. Gerade die beiden etwas mehr im Zentrum des Geschehens stehenden lädierten männlichen Figuren – der unpublizierte, misanthropische Autor Miles und der abgehalfterte, joviale Schauspieler Jack – sind besonders liebevoll und lebensnah gezeichnet. Keine verhinderten Genies, keine verkappten Womanizer, keine verklemmten Tölpel, keine verwundeten Märtyrer sind das, sondern (fast) ganz normale Durchschnittstypen, denen das Leben ab und an halt übel mitspielt. Typen auch, deren Sorgen und Nöte von der Regie trotz mancher komödiantischer Eskapade ernst genommen werden und die von selbiger auch in den noch so peinlichen Situationen nie der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Mit Paul Giamatti, der von der Academy nach der fragwürdigen Nichtberücksichtigung für «American Splendor» im Vorjahr nun unverschämterweise erneut ignoriert wurde, und dem bislang weitestgehend unprofilierten Zwerchfellreizer Thomas Haden Church hat Payne dafür eine traumhafte Besetzung gefunden – und mit Kino-Comebackerin Virginia Madsen sowie seiner Lebensgefährtin Sandra Oh obendrein die idealen weiblichen Pendants dazu.

Das pure Vergnügen

Nach den drei jeweils sehr guten Kinoarbeiten «Citizen Ruth», «Election» und «About Schmidt» hat Payne mit seinem Golden-Globe-prämierten und Oscar-nominierten Viertling «Sideways» nun einen grandiosen Film gedreht, der wiederum mit leisen Tönen und einem charmanten und pointierten Skript für Furore sorgt. Die Wahrheit und Weisheit, die da im Weine liegt, verstehen er, Vorlagengeber Rex Pickett und Co-Drehbuchautor Jim Taylor völlig unverkrampft und höchst amüsant rüberzubringen. Zugunsten seines spielfreudigen Mini-Ensembles tritt Payne dabei bescheiden in den Hintergrund, lässt selbstverliebtes formales Treiben bleiben und begnügt sich damit, die wunderschöne Kulisse ins rechte Licht zu rücken. «Sideways» ist denn auch von der ersten bis zur letzten Minute ein pures Vergnügen, ein wahrer Hochgenuss – meist so leicht wie ein junger Beaujolais, mitunter aber auch so schwer wie ein gehaltvoller Amarone, bisweilen so herb wie ein wuchtiger Barolo, zugleich so süffig wie ein kalifornischer Cabernet – und alles in allem so gut wie ein gereifter Spitzen-Bordeaux. Kurzum: «Sideways» ist mit das Beste, was dieser – notabene sehr gute – Filmjahrgang hervorgebracht hat.