Alles sehen, alles wissen

Dave Eggers hat fürs Kino den Ton seines Bestsellers «The Circle» entschärft. Das macht den dystopischen Stoff um einen allmächtigen Techkonzern zwar nicht glaubwürdiger. Aber banaler.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Ich bin so ein Schwachkopf», entfährt es in Dave Eggers’ Bestseller «The Circle» der Heldin Mae einmal. Doch eigentlich, so denken wir mit jeder gelesenen Seite mehr, ist diese digital naive «Digital Native» sogar eine Schwachsinnige. Und darin liegt eines der gewichtigeren Probleme von Eggers’ Stoff: Man mag sich schlicht nicht kümmern um Mae und ihr Los – weder als sie staunend euphorisiert in den Kundendienst des nach der Allmacht greifenden Techkonzerns The Circle eintritt noch als sie seelenvergessen auf ihrem gar steilen Weg zum Shootingstar der Firma vorantrampelt. Nun mag derlei in der Literatur womöglich gerade noch durchgehen: eine Antiheldin, die auch am Schluss noch nicht gescheiter und geläutert ist. Im harmoniebedürftigeren Hollywood aber ist das ein No-Go; hier wollen Lektionen gelernt sein. Als Eggers also mit Regisseur James Ponsoldt «The Circle» fürs Kino adaptierte, musste er gerade auch an Mae schräubeln. Mit der Besetzung durch die – noch immer mit dem amerikanischen Akzent ringende – Sympathieträgerin Emma Watson und dem Tilgen ihrer irrsten und abstossendsten Episoden soll uns Mae nun als Identifikationsfigur beliebt gemacht werden. Nur: Glaubwürdiger ist ihre Entwicklung deshalb noch nicht. Zumal auch bei dieser vermenschlichten Version der Mittzwanzigerin trotz Warnungen ihrer Freundin Annie (klasse: Karen Gillan) und des mysteriösen Ty (unterfordert: John Boyega) die Alarmglocken einfach nicht schrillen wollen – und sie nichts hinterfragt, was der moralisch vermeintlich unfehlbare Circle-Führer Bailey (Tom Hanks mit grauem Bart, aber ohne Rollkragenpulli) so predigt. Und das ist allerhand und letztlich: totale Überwachung und Vermessung im Dienst einer allumfassenden, tatsächlich alles erfassenden Transparenz.

Gescheite Fragen

«The Circle» war einer der grossen Flops des US-Kinosommers. Verdient ist das aber kaum. Denn bei allen dramaturgischen Fauxpas, trotz der einseitigen Polemik gegen Google und Co. hat Eggers’ Stoff sehr wohl auch unbedingt Bedenkenswertes zu bieten: wohin uns radikaler Fortschrittsglaube noch führen wird etwa. Ob die gefilterte Realität der Social Media blind macht. Ob für Sicherheit und Demokratie jegliche Privatsphäre zu opfern ist. Ob es den grossen Manipulator noch braucht oder wir schon ganz freiwillig den Techkonzernen hörig und gefügig sind. Ob Menschen besser werden, wenn sie wie die zum Aushängeschild avancierte Mae gläsern oder eben transparent sind und ihr Leben per Minikamera komplett öffentlich machen. Ob alles zu wissen wirklich erstrebenswert ist. Oder schliesslich, mit Blick auf Trump bereits obsolet: dass Politiker auf ihr Wort behaftet werden können, wenn alles, was sie verzapfen, dokumentiert ist. Und auch Jungregisseur Ponsoldt, der sich dieses Prestigeprojekt mit dem Jugenddrama «The Spectacular Now» und dem David-Foster-Wallace-Film «The End of the Tour» redlich verdient hat, bringt gute Ideen ein, wie das Einstreuen der Messages, mit denen Mae unablässig bombardiert wird, oder den stoffkonform kühl-sterilen Thriller-Ton. Einiges Abenteuerlicheres haben er und Eggers derweil ausgesiebt, sodass der Circle nicht so sektenhaft wirkt, Bailey nicht so guruhaft, Mae nicht so jüngerhaft. Der Albtraum eines digitalen Faschismus wird deshalb aber nicht wahrer, sondern bloss weniger düster, weniger dystopisch. Und ein Stück weit auch banaler.

Intellektuelle Schnellschüsse

Es ist die verführerisch schöne neue Arbeitswelt der Techgiganten, die uns «The Circle» voll verteufelnden Spotts präsentiert: ein spielplatzgleicher Firmencampus mit kulinarischer, medizinischer, sozialer, kultureller und technologischer Rundumversorgung, wo einem auch mal der Dalai Lama begegnet; ein CEO, dem die Untergebenen wie einem Rockstar zujubeln; vollmotivierte Jungspunde, die schnell denken, schnell reden, schnell handeln und im verordneten Spass- und Social-Media-Stress manchen intellektuellen Schnellschuss fabrizieren. Kontrastiert wird das immer wieder mit der Strandidylle bei Maes freigeistigen Eltern (die verstorbenen Glenne Headly und Bill Paxton in ihren letzten Rollen) und dem technologieskeptischen Ex-Freund Mercer (Ellar Coltrane, «Boyhood»). Das gibt auch uns eine Verschnaufpause und funktioniert gerade deshalb, weil der Mahnfinger dabei nicht allzu hoch erhoben wird – so wie auch sonst kaum je. Was dem Film dafür abgeht, ist die Spannung. Dies umso mehr, als einer der Clous der Vorlage schon früh verraten wird. Und für den Schluss dann hatte Eggers sowieso eine ganz neue Idee. Freilich: Die alte war besser.