von Sandro Danilo Spadini
Dass die Spanier Sportskanonen vor dem Herrn sind, wird just dieser Tage wieder evident. Dank Alonso, Contador, Nadal und natürlich den Ballzauberern aus Barcelona, Madrid und Valencia haben sie
sich längst als führende europäische Sportnation etabliert. Weit weniger offensichtlich ist derweil, dass die Iberer langsam auch zur beherrschenden cineastischen Macht in Europa aufsteigen.
Einen Pedro Almodóvar hat man zwar immer auf der Rechnung, einen Alejandro Amenábar vielleicht auch noch. Doch dass das spanische Kino gerade im Bereich Thriller eine Ausnahmerolle einnimmt, geht
trotz Filmen wie «[Rec]» oder «El orfanato» und Regisseuren wie Jaume Collet-Serra oder Juan Carlos Fresnadillo schnell mal unter. Ändern könnte sich das mit einem Film, der ein eigentlich
ausgelutschtes Thriller-Subgenre belebt und dafür gleich acht der renommierten Goya-Auszeichnungen erhielt: Der Gefängnisfilm «Celda 211» erzählt mit viel psychologischem Gespür und wenig wohlfeiler Kraftmeierei die Geschichte eines jungen
Mannes, der im Chaos aufwacht und mit dem taktischen Geschick eines Vicente del Bosque ums Überleben kämpft.
Spielfeld wird geöffnet
Wie Xavi dies im spanischen Mittelfeld mit seinen Pässen tut, spannt Regisseur Daniel Monzón hier in den ersten zehn Minuten ein Spinnennetz mit Handlungssträngen. Und wie Xavi ist Monzón ein
Regisseur mit grosser Übersicht, Souveränität und Eleganz. Wir treffen zunächst Juan (Alberto Ammann), einen Mittzwanziger, der bei seinem neuen Arbeitgeber einen guten ersten Eindruck machen
will. Der Arbeitgeber ist eine Gefangenenanstalt in Zamora nordwestlich von Madrid, und Juan taucht hier bereits einen Tag vor Dienstantritt auf. Die künftigen Kollegen nehmen den Neuen sodann
auf eine Tour durch den Knast und tischen ihm dabei Horrorstorys über bauliche Zustände und wilde Insassen auf. Und noch während sie am Erzählen sind, ereignet sich der erste Unfall. Juan geht
k.o. und wird zur Erholung provisorisch in eine Zelle geschafft, in die berüchtigte Zelle 211. Als er wieder zu Bewusstsein kommt, ist die Hölle schon ausgebrochen. Ein Aufstand unter Führung des
Vierschröters Malamadre (Luis Tosar) ist im Gang, Wärter wurden als Geiseln genommen. Es geht für Juan nun darum, sich zu adaptieren, zu antizipieren und zu improvisieren – was er auch tut, indem
er sich als frisch eingelieferter Häftling ausgibt. Unterdessen stellt sich die Gefängnisleitung auf Krieg ein. Derweil die Gefangenen ihre Forderungen formulieren und wir von den
menschenverachtenden Zuständen in Zamora hören, feilt die Gegenseite an ihrer Strategie. Im Zuge dessen erfahren wir einiges über die Hintergründe der Häftlinge und lernen, dass das Ganze auch
eine politische Dimension hat, mit in Zamora inhaftierten ETA-Mitgliedern im Zentrum. Und bald führt uns Monzón nach draussen, zu Juans schwangerer Frau Elena (Marta Etura) und vor die
Gefängnistore, wo sich ein weiterer Brennpunkt bildet.
Grenzen lösen sich auf
Schon nach den so ereignisreichen ersten zehn Minuten steht zweifelsfrei fest, dass hier Ambitionen da sind und es sich bei «Celda 211» nicht um einen gewöhnlichen Gefängnisfilm handelt.
Regisseur Monzón setzt auf ein variables Spiel, ist mal hier, mal dort, bald in der Gegenwart, bald in der Vergangenheit, bald in der Zukunft. Und auch die Kamera zeigt sich flexibel. Hat sie im
Prolog noch den Blickkontakt mit den Protagonisten vermieden und vorzugsweise auf Hinterköpfe, Hände, Torsos fokussiert, ist sie später stets auf Augenhöhe. In stilisierten und kontrastreichen
Bildern, bisweilen auch auf das Schwarzweiss der Überwachungskamera ausweichend, fängt sie die sich zusehends zuspitzenden Zustände kongenial ein. Die anfänglich gespürte Dominanz des
Optischen weicht indes spätestens dann, wenn sich die einst so klar gezogenen Grenzen zwischen Gut und Böse dank allmählichen Informationsgewinns und schleichender Transformation der Charaktere
auflösen. Jetzt ists ein neues Spiel. Und die entscheidende Frage in diesem so wendungsreichen wie plausiblen Genre-Glanzlicht ist: Wer wird wie reagieren?