Bond ist endgültig im 21. Jahrhundert angekommen

«Quantum of Solace» des Schweizer Starregisseurs Marc Forster gehört gewiss zu den besseren Bond-Streifen, kommt aber in vielerlei Hinsicht nicht an die Klasse des Vorgängers heran.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es war ein radikaler Bruch mit den in 20 Filmen und in über vier Dekaden gepflegten Traditionen, mit welchem die 007-Macher vor drei Jahren Fangemeinde wie Fachwelt erschütterten und endlich verblüfften: Der in «Casino Royale» präsentierte Bond war nicht nur blond, sondern sogar so etwas wie ein richtiger Mensch – mit quälenden Gefühlen und allem Drum und Dran, aber fast ohne Lebemann-Qualitäten. Reichlich Wagemut gehörte dazu, die erfolgreichste Filmserie aller Zeiten konzeptuell komplett auf den Kopf zu stellen und damit deren Jünger potenziell vor den selbigen zu stossen. Doch was anfangs nach Sakrileg roch, erwies sich dann als fulminante Neulancierung der Marke Bond: Der höchst umstrittene Daniel Craig bewies eindrücklich seine Qualifiziertheit, den am Anfang seiner Agentenkarriere stehenden 007 ins 21. Jahrhundert zu führen; das vom kanadischen Starschreiber Paul Haggis («Crash») mitverfasste Drehbruch erquickte mit strammem Spannungsbogen und spritzigem Stakkatowortwitz; der brave Regisseur Martin Campbell schliesslich verarbeitete dies und alles andere kompetent – und Bond ward neu geboren.

Belasteter Einzelkämpfer

Das also war die Ausgangslage für den Schweizer Marc Forster, als er seine Zusage machte, den Kapellmeister für den recht unsüffig mit «Quantum of Solace» betitelten Bond Nr. 22 zu geben. Mit dem Engagement Forsters kurbelten die Produzenten nicht nur die ohnehin schon hohe Erwartungshaltung nochmals nach oben, sondern setzten den Bruch mit den Traditionen gewissermassen grad gleich mal fort – wurde doch noch nie in der Geschichte der Reihe die Inszenierung einem Regisseur solchen Kalibers überantwortet. Und Fortsetzung und Traditionsbruch sind denn auch zwei Schlüsselwörter für die Handlungsebene. So knüpft der neue Bond-Film als erster seiner Gattung im Plot unmittelbar an seinen Vorgänger an und macht so den dramaturgisch etwas befremdlichen Epilog von «Casino Royale» mit der Ermordung von Bonds Schatz Vesper Lynd quasi zum Prolog von «Quantum of Solace». Getrieben von Rachedurst, stellt sich der nunmehr endgültig im Jetzt angekommene 007 hier weniger in den Dienst Ihrer Majestät denn vielmehr in jenen seiner Gefühle und avanciert dergestalt zum veritablen Querdenker in Lizenzentzugsgefahr. Schon dadurch wird deutlich, dass auch Forster der Menschwerdung der Kunstfigur höchste Priorität einräumt und seinen Helden dem momentanen Trend getreu als seelenkranken einsamen Einzelkämpfer inszenieren wird. Verbissen und verletzt wie ein Jason Bourne jagt Craigs James Bond seinen urpersönlichen Gegnern quer durch die Welt hinterher, serviert ihnen recht humorlos die Quittung und bringt sie schliesslich zur Strecke in der Hoffnung, damit die Dämonen zum Verstummen zu bringen. Das ist und bleibt der neue Bond – kein eleganter Geck, kein gedankenverlorener Macho, kein Quell der Eloquenz, sondern ein Leidender, ein Suchender, ein Werdender.

Im Dienste des Zeitgeists

Wie schon im Vorgänger bleibt auch bei Forster ob der Spurensuche nach der Identität der berühmtesten Filmfigur der Welt kaum Raum für neckische Verweise auf die Vergangenheit, nicht einmal im Kleinen. Miss Moneypenny wurde entsprechend nicht reaktiviert, Q und mit ihm die Gadgets fehlen weiterhin, Wodka-Martinis werden weder gerührt noch geschüttelt gereicht, und sogar mit der Vielweiberei ist es aus. Stattdessen wird in dem erneut von Haggis mitverfassten Skript mit neu gefundener Ernsthaftigkeit der geopolitische Zeitgeist heraufbeschworen; passend zur momentanen Stimmungslage, sind in die vom diabolischen Geschäftsmann Dominic Greene (Mathieu Amalric) angezettelte Verschwörung um die Ausbeutung von Wasserressourcen und den damit irgendwie verbundenen Putsch der linken Regierung Boliviens so denn auch die einstmals «guten» Amerikaner mit ihrer mittlerweile arg rufgeschädigten CIA wie auch die als US-Kollaborateure verschrienen Briten selbst verwickelt. Da aber Greene der Strippenzieher in der Ermordung von Vesper Lynd war, ist auch dies für Bond zuallererst eine persönliche Angelegenheit. Und in der vom selben Mann verratenen Schönheit Camille (Olga Kurylenko) findet Bond auf seinem Rachefeldzug gar noch eine Art Seelenverwandte, mit der er freilich weniger flirtet als fightet. Als regulierende Kraft in dieser herzgesteuerten Vendetta wirkt immerhin noch die betont mütterlich auftretende M, die bereits zum sechsten Mal von Judi Dench verkörperte Vorgesetzte Bonds.

Leise Enttäuschungen

Die Handlung des neuen Bond ist nicht ohne Reiz. Doch die Quintessenz eines Bond-Films bleiben unvermindert die Schauwerte, zumal es sich auch bei «Quantum of Solace» aller Zeitgeistbeschwörung und Dreidimensionalisierung der Figur zum Trotz noch immer um einen Action-Streifen handelt. Gross war die Spannung, wie Forster, der bislang so leichtfüssig zwischen den Genres gewandelt war, den Krawumm bewältigen würde. Nun, da das Ergebnis endlich vorliegt, tut sich leise Enttäuschung auf. Dies zum einen insofern, als die timingtechnisch nicht immer glücklich platzierten Actionsequenzen kaum Originalität versprühen, vor allem aber deshalb, weil sie handwerklich teils unsauber und inkonsequent inszeniert wurden. Was Forster womöglich vorschwebte, war ein virtuoser Schnittwahnsinn, wie ihn Paul Greengrass in «The Bourne Ultimatum» vollführte. Indes scheint es so, als ob er dabei auf halbem Weg Halt machte – statt eines fiebrigen Furioso herrscht nun oftmals bare Unübersichtlichkeit. Derlei mindert natürlich den Spannungsquotienten und lässt bisweilen ein Aufmerksamkeitsdefizit entstehen, wie es sich beim insgesamt stimmigeren Vorgänger eben gerade zu keiner Zeit ergab. Abhilfe können auch Bonds Mit- und Gegenspieler nicht verschaffen. Derweil Mathieu Amalric («Le scaphandre et le papillon») wenigstens noch einen passablen Bösewicht abgibt und der Schweizer Anatole Taubman als dessen leicht trotteliger Handlanger gelegentlich für Schmunzeln sorgt, sind die Frauenrollen mit Olga Kurylenko und Gemma Arterton ziemlich blass besetzt. Was dem gewiss als bessere Episode zu klassifizierenden Bond Nr. 22 auch aufgrund des bewussten Verzichts auf Romantik und Nostalgie letztlich abgeht, sind also die Kabinettstückchen sowohl darstellerischer und dramaturgischer als auch produktionstechnischer und inszenatorischer Natur. Dass diese ausgerechnet dann fehlen, wenn erstmals ein Starregisseur das Zepter schwingt, ist erstaunlich. Jedenfalls scheint es so, dass mit einer Tradition nicht gebrochen wurde: Bond-Filme sind Produzenten- und keine Regisseurenfilme.