Leben und lieben in Mexico City

Drei Handlungen, ein Thema: In seinem fulminanten Langspielfilmdebüt «Amores perros» beleuchtet Regisseur Alejandro Gonzáles Iñárritu die Schattenseiten der Liebe inmitten des Molochs Mexico City.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Love’s a Bitch»: Der wortspielerische amerikanische Verleihtitel ist durchaus programmatisch für die drei – bloss lose miteinander verbundenen – Geschichten von «Amores perros», werden hier doch fast ausschliesslich die dunklen Seiten der Liebe beleuchtet. Eröffnet wird der Film mit Octavio, der in Susana, die Frau seines gewalttätigen Bruders Ramiro, verliebt ist. Sein Geld verdient Octavio mit brutalen Hundekämpfen. Nach der stürmischen, stellenweise mit Handkamera gefilmten Ouvertüre folgt die formal eher beschauliche Geschichte von Daniel, der zugunsten des Models Valeria seine Familie verlassen hat. Als Valeria bei einem Autounfall, welcher eigentlich die einzige Überschneidung der drei Teile darstellt, körperlich entstellt wird, zerbricht das junge Liebesglück. Teil drei schliesslich vereinigt hinsichtlich der sozialen Milieus den ersten, im Proletariat spielenden mit dem zweiten, in der Oberschicht angesiedelten Teil. Protagonist ist der Alkoholiker El Chivo, ein ehemaliger Professor, der einst seine Familie verlassen hatte, um als Guerillero zu kämpfen, und sich nun – inzwischen gepeinigt ob dem Verlust seiner Tochter – als Auftragskiller für den Yuppie Gustavo verdingt.

Viele Väter

Von der «New York Times» als erster Klassiker des neuen Jahrzehnts bezeichnet, von der Oscar-Akademie in diesem Jahr als bester nicht englischsprachiger Film nominiert, von unzähligen internationalen Filmfestivals mit Auszeichnungen überschüttet: Alejandro Gonzáles Iñárritu ist mit «Amores perros» künstlerisch – und in Lateinamerika auch kommerziell – ein ganz grosser Wurf geglückt. Inspiriert wurde er dabei vom US-amerikanischen und britischen Kino. «Amores perros» hat viele Väter: die Patchwork-Struktur von Altmans «Short Cuts», die narrative Ausgestaltung von Tarantinos «Pulp Fiction», die direkte Schilderung urbanen Lebens von Winterbottoms «Wonderland», die hektische, auf Realismus bedachte Kameraarbeit von Soderberghs «Traffic», den akkurat zur Schau gestellten Schmutz von Boyles «Trainspotting» oder den gnadenlos und unbarmherzig langgezogenen Blick auf das Hässliche von Lynchs «Wild at Heart». «Amores perros» deshalb als unoriginell zu bezeichnen, wäre aber weit gefehlt. Das grosse Kunststück von Iñárritu besteht eben gerade darin, aus all diesen Elementen ein harmonisches Ganzes zu kreieren und diesem dabei auch noch seinen eigenen Stempel aufzudrücken.

Intensives Grossstadtepos

Nicht zuletzt dank der unterschiedlichen Inszenierung der drei verschiedenen Teile zeichnet «Amores perros» auf eindrückliche Weise, mit hoher Glaubwürdigkeit und Intensität ein Panorama von letztlich einsamen Seelen inmitten des Molochs Mexico City. Der Verlust, die Vergänglichkeit der Liebe, zurückgewiesenes, nicht erwidertes Begehren sind die zentralen Themen eines, obwohl mitunter auf Hype bedachten, im Grunde doch sehr traurigen Films. Auch ist eine – vom Regisseur nicht zwingend intendierte – religiöse Lesart möglich. Wollust (Daniel), Habsucht (Gustavo), Trägheit (Susana), Neid (Octavio), Hochmut (Valeria), Zorn (Ramiro) und Völlerei (El Chivo): Zumindest eine der sieben Todsünden begeht jede Hauptfigur in «Amores perros» – einem filmischen Ereignis, das nicht nur innerhalb des lateinamerikanischen Kinos seinesgleichen sucht.