von Sandro Danilo Spadini
Das muss man jetzt auch mal hinkriegen: derart durchtrieben und unsympathisch zu sein, dass man sich im Publikum zwischendurch sogar überlegt, sich lieber mit dem russischen Mafioso zu
solidarisieren. Soll der kleinwüchsige Gangster Roman Lunyov (Peter Dinklage) dieses Luder also ruhig um die Ecke bringen – verdient hätte es die sich nicht mal das Prädikat «Antiheldin»
verdienende Trickbetrügerin Marla Grayson (Rosamund Pike) allemal. Denn was Marla hier abzieht, das ist wirklich unterste Schublade und wäre wahrscheinlich sogar der realen Russenmafia zu
schäbig: Mithilfe einer korrupten Ärztin (Alicia Witt), eines schmierigen Pflegeheimbetreibers (Damian Young) und willfähriger Richter übernimmt sie als Vormund die Kontrolle über das Leben und
das Vermögen eigentlich mehr oder minder kerngesunder Senioren und verscherbelt alsdann bis zum letzten Penny deren ganzes Hab und Gut. Mit dieser Masche hat es Marla bereits zu einigem Reichtum
gebracht; doch mehr ist mehr, und wie die Skrupellosigkeit in ihr kennt eben auch die Gier keine Grenze. Und so haben sie und ihre Komplizin und Liebhaberin (Eiza González), nachdem einer ihrer
Mündel das Zeitliche gesegnet hat, sich natürlich längst schon ihr nächstes Opfer ausgeguckt. Blöderweise aber ist die vermeintlich verwirrte und verwandtschaftslose Jennifer (Dianne Wiest) nicht
nur bei überaus vifem Verstand, sondern obendrein auch noch die über alles geliebte Mutter des bösesten Russen von Massachusetts. Und mit diesem wird sich Marla nun ein Katz-und-Maus-Spiel
liefern, in dem sämtliche Register gezogen werden und die ganze Palette perfider Privatkriegsführung abgedeckt wird – von wendungsreichen Mindgames über sadistische Erniedrigungen bis hin zu
handfester physischer Konfrontation.
Raubtier im Hosenanzug
Es ist also ganz schön was los in J Blakesons
«I
Care a Lot»; langweilig wird es hier über die vollen zwei Stunden Spielzeit definitiv nie. Aber dass die Hauptfigur derart abstossend ist, dass man selbst ihre eiseskalte Cleverness nur
höchst widerwillig anerkennen mag, das ist halt schon ein bisschen ein Problem. Für Rosamund Pike, die für diese Performance den Golden Globe eingeheimst hat, ists dagegen ein diabolisch
fulminanter Karrierehöhepunkt nach dem durchaus artverwandten Oscar-nominierten Auftritt in David Finchers «Gone Girl»: Wie sie hier mit betoniertem halblangem Haar, dessen Spitzen so scharf wie
Pfeile sind, den Wolf im Schafspelz oder besser die Raubtierkapitalistin im Hosenanzug mimt, immerzu kontrolliert und gnadenlos fixiert auf ihre Beute, das ist von einer beiläufigen
Boshaftigkeit, die einem wechselweise das Blut in Wallung bringt oder in den Adern gefrieren lässt. Ja, ihre Präsenz ist derart einnehmend, dass sie glatt all die Logiklöcher, die sich auf diesem
mörderischen Parcours auftun, stopft und einen grad auch noch darüber hinweglächlen lässt, dass die in diese hochfiktionale Geschichte eingewobene Kritik an der uramerikanischen Habgier nicht
vollends überzeugt und nur bedingt zum profunden Diskurs über die übelsten Auswüchse unseres Wirtschafssystems anregt. Denn wiewohl Blakeson, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet,
exzessiv zu diesem traurigen Thema recherchiert hat, scheint er am Ende dann doch einfach viel zu viel schwarzhumorigen Spass daran zu haben, Marla und Roman die Klingen kreuzen zu lassen. Wie
seine Protagonistin, die nie die Contenance verliert und aufreizend souverän durch die wechselnden Szenerien gleitet, lässt freilich auch Blakeson stets eine gewisse Zurückhaltung walten – im
Wissen darum, dass das Böse umso erschütternder ist, je zivilisierter dessen Urheber sich aufführt. Bisweilen grenzt es indes nachgerade an Marla-hafte Herzlosigkeit, wie der Film immer wieder
neue Ungeheuerlichkeiten einfach geschehen lässt, sie mit einem «So ist halt unsere Welt»-Schulterzucken hinnimmt und sich hinterher noch darüber amüsiert. Man kann da jetzt mit zynischem
Zwinkern mitgrinsen – oder sich angewidert abwenden. Kommt wohl auch ein bisschen auf die eigene Tagesform und die aktuelle geistige Verfassung an.
Stilistisch elegant
Über jeden Zweifel erhaben müsste derweil sein, dass Blakeson hier jenes Potenzial offenbart, das ihm einst schon nach seinem Spielfilmdebüt «The Disappearance of Alice Creed» (2009) attestiert
wurde. Die prophezeite grosse Karriere hat der Brite nach diesem ausgefuchsten Entführungsthriller dann zwar nicht hingelegt; aber das kann ja noch werden. «I Care a Lot», dieser Fiesling von
einem Film, gibt jedenfalls nicht nur wegen seines provokanten Inhalts und des unorthodoxen Herangehens an das sicherlich höchst bedenkenswerte Thema zu reden, sondern auch wegen seiner
stilistischen Eleganz, seines Auftritts quasi, der in seiner rigide gepflegten Makellosigkeit jenen Marlas spiegelt. Am Ende aber ist das trotzdem voll und ganz Pikes Show. In «Game of
Thrones»-Star Peter Dinklage hat sie zwar einen mehr als würdigen Gegenspieler, der es mitunter sogar schafft, so etwas wie Sympathien zu wecken; in der zweifachen Oscar-Preisträgerin Dianne
Wiest hat sie zudem ein Opfer, das ihr wie der grandiose Chris Messina als Mafiaanwalt gehörig Paroli zu bieten vermag; und in Eiza González, Damien Young und Alicia Witt hat sie schliesslich
potente Mitstreiter. Doch was von «I Care a Lot» am Ende bleibt, sind dieses gönnerisch nachsichtige Lächeln und der mitleidig milde Blick, sind diese streng ebenmässigen Gesichtszüge und die
perlmuttweisse Haut, sind diese sanfte Stimme und diese professionell herzlosen Worte, die einen fassungslos und zugleich auf perverse Art fasziniert zurücklassen.