Den Vater rächen, um den Trott zu brechen

Sean Penn spielt im Drama «This Must Be the Place» einen inaktiven Rockstar auf Sinnsuche. Er tut dies so brillant, wie der italienische Regisseur Paolo Sorrentino den Film inszeniert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ich glaube, ich bin ein bisschen deprimiert», meint Cheyenne (Sean Penn), und nachdem wir ihn jetzt seit ein paar Minuten begleitet haben, neigen wir dazu, ihm zuzustimmen. Aber vielleicht hat auch seine Frau (Frances McDormand) recht, und ihm ist bloss fad. Cheyenne ist nämlich Rockstar ausser Dienst – sein Leben war schon mal spannender. Extravagant ist heute, 20 Jahre nachdem er von der Bühne abgetreten ist, nur noch die Erscheinung: Mit Struwwelpeter-Frisur, Lippenstift und Kajal schaut er aus wie The-Cure-Sänger Robert Smith; bewegen tut er sich so schwerfällig wie Ozzy Osbourne; seine schleppende Falsettostimme klingt nach Truman Capote. Trotzdem: Das Showbusiness ist hier in der Dubliner Vorstadt weit weg, und welk geworden ist der Ruhm. Wenn Cheyenne im Supermarkt einkaufen geht, wird er nicht etwa erkannt, sondern schnöde verlacht als Freak. Und anstatt zum medienträchtigen Comeback animiert man ihn dazu, eine Amateurgruppe zu produzieren, die auf den Namen Pieces of Shit hört.

Per Schiff nach Amerika

Das alles ist natürlich nicht so erbaulich, weswegen Cheyenne sich auch nach sinnhafterem Zeitvertreib umschaut. Das Spekulieren an der Börse, dem er mit einigem Ehrgeiz frönt, scheint indes auch nicht die Lösung zu sein. Schliesslich hat Cheyenne gewichtigere Sorgen als den offenbar reichlich vorhandenen Mammon: Zentnerschwer trägt er an Schuld, weil sich zwei Jugendliche zu seinen Depro-Songs einst umbrachten. Das mag der Grund dafür sein, dass Cheyenne so ist, wie er ist. Doch sicher kann man sich weder da sein noch dabei, dass es wirklich die Tristesse ist, die ihn umklammert, und nicht bloss die Fadesse. Denn Cheyenne ist die Hauptfigur im neuen Drama des Autorenfilmers Paolo Sorrentino, und wie schon die vier vorherigen Kinoperlen des Italieners ist auch «This Must Be the Place» einigermassen verworren. Nebst einer stockenden Informationspolitik liegt das nicht zuletzt an dem Absurden, Skurrilen, Bizarren, das auch hier wieder seine Rolle spielt – und sich erneut über die Situationskomik hinaus auf die Figuren erstreckt: In Sorrentinos Universum der Verrückten ist die tuntige Diva Cheyenne locker auf Augenhöhe mit dem abgetakelten Schlagersänger aus «L’uomo in più», dem verliebten Profikiller aus «Le conseguenze dell’amore», dem widerlichen Pfandleiher aus «L’amico di famiglia» und dem rätselhaften Ex-Ministerpräsidenten Giulio Andreotti aus «Il divo». Recht absurd, skurril, bizarr ist freilich auch die Bahn, in die Sorrentino den Plot bald lenkt: Als Cheyenne hört, dass sein Vater daheim in New York im Sterben liegt, reist er per Schiff nach Amerika. Und obgleich er seit 30 Jahren nicht mehr mit dem Vater geredet hat, fasst er den Entschluss, dessen einstigen Peiniger aufzuspüren: einen Naziverbrecher, der sich irgendwo in den USA versteckt.

Zwei Filme in einem

Wie schnell und zugleich geschmeidig Sorrentino vom Dubliner Rocker-Ruhestand über den erinnerten Horror von Auschwitz bis zur von seltsamen Begegnungen gesäumten Jagd durch die USA gelangt, ist so waghalsig wie verblüffend. Und auch auf der visuellen Ebene fährt der 41-jährige Neapolitaner zickzack: Den gerade aus «Le conseguenze dell’amore» und «Il divo» bekannten Stilisten gibt er – wenn auch weniger unterkühlt – erst in den USA wieder. Hier filmt er mit den grossen Augen des Entdeckers und ist offenkundig fasziniert vom Land und seinen Sonderbarkeiten. Zunächst jedoch setzt er auf optisch Schlichtes und kleine Gesten. Mitreissend ist beides: die Wucht der «amerikanischen» Kinogemälde und die stille Traurigkeit, die er etwa aus einer Trivialität wie dem Backen einer Tiefkühlpizza herausholt. Recht eigentlich ist «This Must Be the Place» zwei Filme in einem – zusammengehalten vom grossen Sean Penn. Von all seinen umwerfenden und vereinnahmenden Darbietungen ist dies fraglos eine der umwerfendsten und vereinnahmendsten. Indes hat er hier auch eine traumhafte Plattform: In dieser oft genug witzigen Kreuzung aus Zeitlupen-Roadmovie und Musikerdrama – benannt nach einem Talking-Heads-Song und untermalt von Bonnie-«Prince»-Billy-Musik – findet Penn reichlich Raum und Zeit zur Entfaltung vor.