Was von der Rache übrig blieb

Der zweite Teil von Quentin Tarantinos Racheepos «Kill Bill» ist unvermutet unblutig, jedoch keineswegs blutleer und unterläuft so die vom Vorgänger aufgestellten Erwartungen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Wenn das Blut in Strömen fliesst, wenn der Flachs blüht und die halbe Kinogeschichte neu auflebt, dann ist wieder Tarantino-Zeit. Rund ein halbes Jahr nach Teil eins bringt uns Quentin Tarantino mit «Kill Bill Vol. 2» die Fortsetzung seines wahnwitzigen Racheepos, und die Erwartungen sind enorm. «Schneller, lauter, grösser» – so lautet die Faustregel, nach der in Hollywood sogenannte Sequels realisiert werden. Auf «Kill Bill» übertragen, hiesse dies auch: blutiger, garstiger, durchgeknallter. Unvorstellbar? Nun ja. Raum für Steigerungsmöglichkeiten hat «Vol. 1» zwar kaum gelassen, doch haben wir es hier mit einem durch und durch wahnsinnigen Genie zu tun, das bislang noch jede Grenze überschritten hat. Warum also nicht? Es spricht nichts dagegen, wenngleich «Kill Bill» ja nicht als Zweiteiler geplant war, sondern eigentlich in einem Aufguss in die Kinos kommen sollte. Na dann: Auf ins Gefecht!

Blut, Gags und Zitate

Ouvertüre in Schwarz-Weiss: Wir sehen Uma Thurman am Steuer eines Cabriolets und fühlen uns kraft der anachronistisch anmutenden Bildsprache an eine Heldin der Film-noir-Blütezeit erinnert. Schön, schön, Mister Tarantino hat also auch eine Schwäche für das 40er-/50er-Jahre-Kino. Die erste Hommage ist vermerkt. Dann ein Insert, das uns ein Massaker ankündigt. Das lässt Blut erwarten, und wir lecken selbiges bereits fleissig. Jetzt wird die Vorgeschichte von «Kill Bill» erzählt, von der wir bisher nur wissen, dass besagter Bill (David Carradine) der namenlosen Braut (Thurman) eine Knarre an den Kopf gehalten, ein paar launige Abschiedsworte gesprochen und eiskalt abgedrückt hat. Eine Hochzeit steht also an, die vormals auftragsmordende Braut will sich mit einem Plattenverkäufer vermählen, es wird geprobt für den grossen Tag. Der Pfarrer ist ein etwas verbohrter Typ und entlockt uns schon bald den ersten Lacher. Da hätten wir es also! Ein echter Tarantino wieder mal: eine Hommage, die Aussicht auf Blut und Gags. Aber halt! Was passiert denn jetzt? Auf einmal wird geredet, richtig geredet, Konversation sozusagen. Keine ultracoolen «Oneliner», keine kernigen Sprüche, sondern richtige Dialoge. Das kennen wir aus Teil eins aber nicht. Und dann? Ja dann marschiert Bills vierköpfige Killerbrigade an, doch kaum ist sie da, schwenkt die Kamera weg. Nichts mit Massaker, nichts mit Blut. Nanu?

Geschichte im Vordergrund

Und es wird dabei bleiben. In «Kill Bill Vol. 2” schiessen keine Blutfontänen in die Luft, man sieht keine abgehackten Gliedmassen, und es kommt zu keinem Massengemetzel. Wohl wird noch aus irgendwelchen obskuren Filmen zitiert, doch einzelnen Genres wird kaum mehr gehuldigt, und zu lachen gibt es auch nicht mehr viel. «Vol. 2» weist also nur noch vage Ähnlichkeit mit seinem Vorgänger auf. Kaum mehr etwas da vom Ausgeflippten, Ungestümen, Übermütigen, Masslosen von Teil eins. Tarantino hat zu einer Vollbremsung angesetzt, um fortan ein geradezu gemächliches Tempo anzuschlagen und eine – bisweilen trashig-rührige – Geschichte zu erzählen, in der seine Figuren Konturen erhalten. Nachgerade dialoglastig nimmt sich Teil zwei im Vergleich zum ersten Streich aus, Verschnaufpausen gibt es genug, und dann und wann ist er sogar ein wenig langatmig. Denn rein handlungstechnisch geschieht auch im Sequel nicht allzu viel: Der Rest der Killertruppe erhält den Gnadenstoss, Bill ein Gesicht und die Braut einen Namen. Erzählt wird das Ganze erneut nichtchronologisch, wobei die Rückblenden wiederum mit einer eigenen Bildsprache versehen werden. Ein fiebrig-wilder Genre-Mix ist das aber nicht mehr: hie und da einige Western-Elemente, da und dort ein paar asiatische Einflüsse, die in der ersten Ausgabe noch das dominierende Element waren, nun aber mehr und mehr in den Hintergrund treten. Insgesamt fällt es schwer, sich «Kill Bill» als ein Ganzes vorzustellen – doch vielleicht ist gerade dies nötig, um die zweifellos sehr hohen, aber eben nicht mehr derart spektakulären und gänzlich anderen Qualitäten des im Prinzip als eigenständiger Film funktionierenden zweiten Teils schätzen zu können. Nur vordergründig scheint es so, als hätte Tarantino sein Pulver vorschnell verschossen, das kreative Feuerwerk zu früh gezündet: Denn mag der zweite Teile auch unblutig daherkommen, blutleer ist er mitnichten. Mit dem weit gehenden Verzicht auf Buntes, Brutales und Blutiges – hat Mel Gibson sämtliche Kunstblut-Reserven der Filmstudios aufgebracht? – möchte uns Tarantino womöglich auch zeigen, dass er erwachsen geworden ist und sich nicht scheut, die Erwartungen zu unterlaufen und damit einige hartgesottene, blutrünstige Fans vor den Kopf zu stossen. Ob wir das, einen erwachsenen Tarantino, aber auch wirklich wollen, ist freilich eine ganz andere Frage.