Der Weg ist frei für Sandra Bullocks Touchdown

Im Sportdrama «The Blind Side» verdient sich Sandra Bullock ihren Oscar redlich. Dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Film mangelt es derweil an Subtilität.

 

von Sandro Danilo Spadini

Man hat es immer geahnt, dass Sandra Bullock es in sich hat. Und ganz selten, etwa in «Murder by Numbers» oder in «Crash», hat sie auch tatsächlich nachgewiesen, dass sie mehr ist als bloss die liebreizende Possenreisserin, als welche sie immer wieder reüssiert. 45-jährig musste Bullock indes werden, um mit «The Blind Side» die perfekte Plattform vorzufinden, von der aus sie sich in den Schauspieler-Olymp spielen konnte: ein auf wahren Begebenheiten und einem Sachbuch-Bestseller beruhendes Football-Drama, in welchem alles geblockt wird, was die Hauptfigur beirren könnte, und Bullock so den Weg zum Touchdown freimacht.

Kaum Rückschläge

Das ist natürlich gut für Bullock, weniger jedoch für den Oscar-nominierten (!) Film als Ganzes. Auf der Ersatzbank bleibt so nämlich die Subtilität – und letztlich auch ein wenig die Glaubwürdigkeit. Dass sich die märchenhafte Geschichte des heutigen NFL-Profis Michael «Big Mike» Oher, im Film gespielt von Quinton Aaron, wirklich auf diese schwarze Art und weisse Weise zugetragen hat, darf jedenfalls hinterfragt werden. Dies auch deshalb, weil dem Autor und Regisseur John Lee Hancock («The Rookie») der schwarze Riese lediglich als Projektionsfläche für weisses Gutmenschentum dient. Der Figur wird quasi das Recht auf Eigenleben verwehrt, ihr Background interessiert kaum, Eckdaten müssen reichen: ein IQ von 80, eine Körpergrösse von fast dreimal so vielen Zentimetern, kein Zuhause, keine sozialen Kompetenzen, cracksüchtige Mutter, Kindheit in einem schmerzlich treffend mit «Hurt Village» benamsten Ghetto in Memphis. Den Kontrast dazu gibts auf der anderen Seite von Memphis. Hier leben die Tuohys ihren Traum mit Musterehe, putziger Teenagertochter, gar aufgewecktem Benjamin und dicker Brieftasche – eine «All-American Familiy» aus der oberen Mittelklasse des New South: gute Republikaner, gute Kapitalisten, gute Christen. Papa Sean (der Country-Sänger Tim McGraw) nennt 85 Taco-Bell-Filialen sein Eigen, die Hosen in diesem schicken Haushalt hat aber Mama Leigh Anne (Bullock) an. Die zackige Kunstblondine ist es denn auch, die Michael in einer kühlen Nacht aufliest, ihm im Tuohy-Heim ein Obdach und als Pflegemutter im Verlauf der nächsten zwei Stunden ein Leben gibt. Das alles geschieht recht reibungslos – die obligaten Rückschläge sind zugunsten eines maximalen Wohlfühlfaktors auf ein Minimum reduziert: so bei der Integration in die schneeweisse High School, wo sich Michael «wie eine Fliege in der Milch» fühlen müsste. So bei den akademischen Fortschritte, wo als Privatlehrerin doch tatsächlich eine Demokratin (Kathy Bates) nachhilft. So bei der Entwicklung auf dem Football-Feld, wo Big Mike nur anfangs «aussieht wie Tarzan und spielt wie Jane». So bei der Konfrontation mit der Vergangenheit, die mit zwei Besuchen im Hurt Village aufgearbeitet ist. Und so insgesamt auch bei der sozialen Akzeptanz in einem doch sehr rechtslastigen Umfeld. Hier hakt Hancock immerhin mal nach, etwa wenn er Leigh Annes Freundinnen beim 18-Dollar-Salat dumm aussehen lässt und die Botschaft sendet: Diese Damen können sich noch so hübsch rausputzen – am Ende bleiben sie doch das letzte Rassistenpack.

Herzlich, aber irritierend

Unter Verdacht von perfidem, verstecktem Rassismus gerät bisweilen auch der ohne Überraschungen, ohne Enttäuschungen konservativ inszenierte Film selbst. Ihn daraus herauswinden kann Hancock auch nicht, wenn er Leigh Annes Beschützerinstinkt mit jenem Michaels spiegelt und die beiden so für einen Moment auf Augenhöhe bringt. Weit erfolgreicher ist er da schon beim Sympathieheischen für die Hauptfigur: Sosehr sie mit ihrer dauernörgelnden und überselbstbewussten Art auch nerven kann, sosehr ihr Protzgehabe mit BMW, Designersonnenbrille und locker zwei Dutzend Garderobenwechseln irritiert, sosehr sie an Sarah Palin erinnert – sie hat ein grosses Herz und dieses erst noch am richtigen Fleck. Und mit rhetorisch Knackigem bringt sie einen obendrauf auch gerne zum Schmunzeln. So und dank der sich redlich den Oscar erspielenden Sandra Bullock bleibt wenigstens diese Leigh Anne jedenfalls in sehr guter Erinnerung.