von Sandro Danilo Spadini
«Sie sollten Natalie nach Irak schicken, sie an eine Bombe binden und über Bagdad abwerfen.» «Wer die Dixie Chicks unterstützt, unterstützt den Kommunismus.» «Deportiert die Dixie Sluts!» Und:
«Natalie Maines wird am Sonntag, 6. Juli, in Dallas, Texas, erschossen werden.» Mit solch bizarren bis bedrohlichen Schmähungen sah sich die Country-Band Dixie Chicks konfrontiert, nachdem deren
Leadsängerin Natalie Maines 2003 bei einem Konzert in London ihren Unmut über die Irak-Politik George W. Bushs kundgetan hatte. «Ich schäme mich, dass der Präsident der USA aus Texas stammt»,
bellte Maines just zu der Zeit ins Mikrofon, als rund eine Million Menschen in Englands Kapitale gegen den anstehenden Irak-Krieg protestierten. Kurz darauf waren die Dixie Chicks schon unter
einer Lawine der Empörung begraben, ihre Karriere schien am Ende: Die weltweit erfolgreichste Frauengruppe aller Zeiten wurde von den Country-Radiostationen boykottiert, vor den Sendern standen
Mülltonnen für die Dixie-Chicks-Alben, und der rechtskonservative Fox-News-Schreihals Bill O’Reilly verunglimpfte sie in seiner Sendung schliesslich als «unreife, törichte Frauen, die es
verdienen, geschlagen zu werden».
Doppelt interessant
All dies und mehr arbeiten Cecilia Peck und Oscar-Preisträgerin Barbara Kopple («Harlan County U.S.A.») nun in ihrer Dokumentation «Shut up & Sing» auf. Wiewohl mitunter um ein Gleichgewicht von pointierter Gesellschaftsschelte und
herkömmlicher Musikerbiografie ringend, knüpft ihre Arbeit an eine Reihe jüngerer US-Doks wie etwa den Schocker «Jesus Camp» an, die ein Land porträtieren, das, befeuert von radikal christlichem
und blind patriotischem Gedankengut, sich immer tiefer spaltet und darob allmählich durchdreht. Der Aufruhr um Maines’ Statement ist indes nicht nur aus demokratie- und medienpolitischer Sicht
interessant. Denn derweil ein Senatsausschuss sich mit dem Dixie-Chicks-Boykott befassen muss, sind Band und Management gezwungen, die künftige musikalische Ausrichtung zu beraten. Traditioneller
Country, den die einschlägigen Stationen nicht spielen werden, oder MTV-tauglicher Rock, der kaum ihrem Wesen entspräche? Es ist gerade für die so freiheitsliebenden USA schlicht skandalös, dass
sich Künstler, die sich bloss ihr verfassungsmässig verbrieftes Recht auf freie Meinungsäusserung herausgenommen haben, solche Fragen stellen müssen (man entschied sich übrigens für Rock/Pop, was
der Band beim fulminanten Comeback 2006 neue Fans und fünf Grammys bescherte).
Schonungslos offen
Nicht chronologisch aufgebaut und teils etwas unfokussiert, zeigt «Shut up & Sing» die Dixie Chicks bei der Arbeit im Studio, auf und hinter der Bühne, Auftritten bei Talkshow-Grössen wie
Diane Sawyer und Bill Maher oder im privaten Kreis. Gerade letzterer Bereich enthält nebst einem Abriss der Band-Geschichte freilich auch einiges Füllmaterial. So ist es zwar erhellend und
zuweilen ergreifend, den Zusammenhalt innerhalb der Band zu sehen und deren Gedanken zum Geschehen zu hören; Emily Robisons Ausführungen zur In-vitro-Befruchtung oder das launige Plaudern mit den
Red Hot Chili Peppers tun indes kaum was zur Sache. Hier wirkt «Shut up & Sing» fast wie ein Promo-Video, mit dem nach Sympathien für die auch bei Kollegen – etwa dem Bush-Anhänger Toby Keith
– in Ungnade gefallenen Country-Engel gefischt werden soll. Aufgewogen werden derlei aussagearme Passagen letztlich aber durch eine im Showbiz seltene Offenheit – nicht nur bei Kommentaren über
die eigene Plattenfirma oder abermals den Präsidenten (Natalie: «What a dumb fuck!»), sondern gerade auch hinsichtlich des marketingstrategischen Umgangs mit dem «Skandal». Und ein Happy End
gibts ja auch: Bushs Zustimmungsraten sind längst abgestürzt, derweil die Dixie Chicks die Charts stürmen. Mit dem ganz im Zeichen der Ereignisse von 2003 stehenden neuen Album «Taking the Long
Way» habe man sich quasi selbst therapiert, sagt Band-Mitglied Martie Maguire, und im Grunde sei die Bush-Affäre karrieretechnisch das Beste gewesen, das ihnen je passiert sei.