Vom Schützengraben auf die Schaubühne

Clint Eastwood hat mit dem Zweitweltkriegsdrama «Flags of Our Fathers» einen intelligent erzählten und emotional inszenierten Film, aber kein Meisterwerk gedreht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ob es wirklich noch einen weiteren Film über die Schlachten des Zweiten Weltkriegs gebraucht hat, ist immerhin diskutabel. Dass es in diesem Zusammenhang noch irgendeinen Aspekt gibt, der auch auf der grossen Leinwand nicht schon sattsam seziert und analysiert worden wäre, scheint doch eher unwahrscheinlich. Clint Eastwood hat mit «Flags of Our Fathers» und «Letters From Iwo Jima» nun jedenfalls gleich zwei solche Filme auf einen Schlag gedreht und wenigstens mit dem ersten der beiden die Frage nicht abschliessend beantworten können. Überaus faszinierend ist freilich Eastwoods Konzept, die Geschehnisse um die legendäre Schlacht auf der japanischen Insel Iwo Jima aus der jeweiligen Sicht der beiden beteiligten Parteien zu erzählen; als Ganzes dürfte das Projekt denn auch seinen prominenten Platz in der Geschichte des Kriegsfilms finden. Für sich genommen jedoch ist zumal der erste Teil ein zwar intelligent erzähltes und emotional inszeniertes Werk, das fast die ganze Klasse des bereits zweimal Oscar-gewürdigten Regisseurs Eastwood aufzeigt. Ein Meisterwerk wie die beiden letzten Arbeiten des 76-Jährigen («Mystic River», «Million Dollar Baby») ist dies – offenbar anders als der in den USA hoch gelobte, aus japanischer Perspektive erzählte zweite Teil – indes nicht.

Was ist ein Held?

Zentrales Element der über zweistündigen Geschichte ist die berühmte, geradezu ikonische Fotoaufnahme, die sechs Soldaten beim Hissen der US-Flagge auf dem höchsten Punkt der Insel zeigt. In der Heimat als Helden verehrt, werden die drei überlebenden Abgebildeten von der Regierung rücksichtslos für Propagandazwecke eingespannt und zwecks Mittelbeschaffung durch Volksanleihen auf einer Tour durchs ganze Land als Pin-up-Boys eines gerechten Kriegs herumgereicht. Was hier auf der Schaubühne und hinter den Kulissen stattfindet, kontrastiert Eastwood in verstörenden Schlachtszenen immer wieder mit den im Schützengraben erfahrenen Gräueln und zeigt so die auch mit der Heimkehr noch nicht beendete Entmenschlichung der Soldaten auf. Die Verarbeitung dessen manifestiert sich bei den drei Protagonisten in ganz unterschiedlichen Verhaltensmustern. Während der indianischstämmige Ira Hayes (Adam Beach) an den Erinnerungen zu zerbrechen droht und sich ins Vergessen und den Wahnsinn säuft, sonnt sich der unbeschwerte Sonnyboy Rene Gagnon (Jesse Bradford) nicht ungern im unverhofften Ruhm. Als reflektierende Instanz fungiert derweil John «Doc» Bradley (Ryan Phillippe), der die Ereignisse mit stoischer Desillusion konstatiert. Es ist denn auch sein Sohn James, der die Geschichte der drei in dem «Flags of Our Fathers» zugrunde liegenden und von William Broyles Jr. («Jarhead») und Oscar-Preisträger Paul Haggis («Million Dollar Baby») bearbeiteten Buch festgehalten hat. Zu klären versucht wird darin nicht nur die ewige amerikanische Frage, was am Ende des Tages einen Helden ausmacht; auf unpathetische und unverbissene Weise wird vielmehr auch der Mythos hinter der Fotografie dekonstruiert.

Gedanken zur Gewalt

Ins Bild gesetzt hat Eastwood dies alles mit der ihm eigenen gelassenen Altersweisheit, die sich nur schon an den sanften Kamerabewegungen ablesen lässt. Mitnichten abgemildert wird darob freilich die Grausamkeit der kriegerischen Auseinandersetzung. Wie der hier als Produzent verantwortlich zeichnende Steven Spielberg in seinem Opus magnum «Saving Private Ryan» lässt auch Eastwood bei der aufgrund graduellen Farbentzugs beinahe schwarz-weiss wirkenden Inszenierung der Kampfeshandlungen keinerlei Konsequenz vermissen – wobei er sich notabene keines falschen Voyeurismus und auch keiner impliziten Faszination für die Gewalt verdächtig macht. Der Fokus ist bei all dem wüsten Chaos letztlich stets auf den Menschen im Getümmel gerichtet, wiewohl die Soldaten aller dergestalt erzeugten Intimität zum Trotz mehr oder minder gesichtslos bleiben. Das grosse Bild, das Eastwood hierbei im Kopf hatte, stimmt jedoch wieder. So ist «Flags of Our Fathers» eine weitere fundierte und vielschichtige Verhandlung über das Thema Gewalt, das in seinem Œuvre wohl seit je zentral war, aber erst seine Alterswerke in gänzlich unbedenklicher und höchst bedenkenswerter Form dominiert.