Ene mene muh, und der Maulwurf bist du

Zurück im Kalten Krieg: Die bildschöne Verfilmung von John le Carrés «Tinker Tailor Soldier Spy» setzt mehr auf Atmosphäre als auf Spannung – und auf den superben Gary Oldman.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein frostiger Hauch weht durch den Prolog von «Tinker Tailor Soldier Spy» am Budapester Bahnhof. Keine Spur von einem Wind des Wandels. Stattdessen tiefste Siebzigerjahre, kältester Krieg – die Welt von John le Carré, die Welt von dessen berühmtester Romanfigur George Smiley. Die Nummer zwei des britischen Geheimdiensts MI6 ist dieser knorrige Endfünfziger. Oder besser: Er war es, bis man ihn vom Acker gejagt hat wegen des eben bezeugten Fiaskos in Ungarn. Als Regisseur Tomas Alfredson dieses abblendet, ist Smiley (Gary Oldman) indes schon wieder halbwegs rehabilitiert und voll reaktiviert: Er soll auf Maulwurfjagd gehen, soll jene undichte Stelle finden, die schon sein Ex-Chef Control (John Hurt) im Topkader des «Circus», des MI6, vermutet hat. Als Sowjet-Agenten entlarven soll er mithin den neuen «Circus»-Direktor Percy Alleline (Toby Jones) oder einen aus dessen Führungstroika (Colin Firth, David Dencik, Ciarán Hinds).

Im geschlossenen Kosmos

Frost und Kälte sind gewichen, wenn wir noch vor dem Vorspann zurück in London sind. Jetzt dominieren Grün-, Oliv- und Brauntöne, die so gar nicht mehr zeitgemäss wirken, aber eben den Geist der geschilderten Zeit schwer durch die Rauchschwaden atmen. Meist sind wir nun ohnehin in geschlossenen Räumen – auf dass wir von der Kälte draussen wenig spüren. Hermetisch abgedichtet hat Alfredson («Let the Right One In») seine kleine (Männer-)Welt. Just so wie es le Carré getan hat, dieser einstige Geheimdienstmann und so weise Chronist des Kalten Kriegs. Auch sein Mikrokosmos, in dem George Smiley achtmal flunkernd feilscht und forschend flüstert oder wie hier in den ersten 18 Minuten einfach schweigt, ist eine Welt für sich: scheinbar mehr mit dem beschäftigt, was in ihr selbst vorgeht, als mit den grossen Dingen da draussen, die sie zu lenken vorgibt; ebenso hermetisch abgeriegelt, wiewohl mit undichten Stellen; und bevölkert von Leuten, die sich nicht mögen und die auch sonst niemanden zu haben scheinen, den sie mögen. Mancher von ihnen trägt schwer an der Einsamkeit und all den Lügen und Geheimnissen, die sich über die Jahre angehäuft haben. Und einige von ihnen treffen wir in diesen zwei Stunden. So auch Smileys Assistenten Peter Guillam oder den die Maulwurfjagd auslösenden Agenten Ricki Tarr – verkörpert von den Hotshots Benedict Cumberbatch («Sherlock») und Tom Hardy («Inception»), die sich gut machen neben den Topshots Colin Firth und Mark Strong sowie den ewig zu wenig beachteten Charakterköpfen Ciarán Hinds, Toby Jones und Simon McBurney.

Malerische Melancholie

Eine Menge Figuren also, die da eingeführt werden – wobei sich dieser sehr britische Film des Schweden Alfredson vollauf dem Inszenierungsmodediktat der dargestellten Zeit unterwirft und nie je in Aktionismus verfällt. Bisweilen ist das trotzdem fast überfordernd. Denn gerne gibt sich das Skript wie der schnöde Professor, der sich nicht lange mit Erklärungen aufhalten mag und Wissen wie Auffassungsgabe einfach als hoch voraussetzt. Oder dann wie der lebensmüde Zyniker, der an der Hotelbar geheimnisvoll und halbtrunken Anekdote um Anekdötchen murmelt. Und vor und zurück springt dieses in neblige Melancholie getauchte Strategiespiel von einem Film immerzu – ohne Vorankündigung und ohne Rücksicht. Erlaubt man sich einen Augenblick des Abschweifens, ist man schon weg vom Fenster. Doch dann geniesst man halt die Aussicht – schliesslich ist dieser Film sagenhaft schön anzuschauen und scheint mit der Farb- und der Bildkomposition mindestens so beschäftigt wie mit der Spannungserzeugung. Die optisch eher schmucklose BBC-Serie  von 1979, wo Alec Guinness den George Smiley gab, hat Alfredson gleichsam in ein Vintage-Traumkleid gesteckt. Die Stars seines Films sind nebst seinem in Horgen geborenen holländischen Stamm-Kameramann Hoyte van Hoytema denn auch die Damen vom Set-, Produktions- und Kostümdesign. Maria Djurkovic, Zsuzsa Kismarty-Lechner und Jacqueline Durran heissen diese – ihre Namen sollen auch mal erwähnt werden. Und sowieso erwähnt gehört Gary Oldman, der hierfür erstmals (!) Oscar-nominierte 53-jährige Londoner. Er stattet diesen mit Gattin und Arbeitgeber stets über Kreuz liegenden George Smiley mit jener angeborenen Skepsis und sozialen Schwäche aus, die John le Carré ihm, seiner persönlichsten Figur, zugeschrieben hat. Es ist grosse Kunst, was Oldman hier vollbringt – in einem Klasse verströmenden Film, dessen Bilder eigentlich ins Museum gehören.