von Sandro Danilo Spadini
Es war einmal, vor etwa 100 Jahren, eine 32-jährige ledige Britin, die hiess Beatrix Potter und eroberte mit fein illustrierten Häschenbüchlein wie «The Tale of Peter Rabbit» die Herzchen der
kleinen Leseratten. Fräulein Potter, so durfte man damals noch sagen, war die Tochter eines Anwalts, der lieber Künstler geworden wäre, und einer missgünstigen Matrone, die sehr viel auf ihren
ererbten Wohlstand und den damit einhergegangenen gesellschaftlichen Aufstieg gab. Eines Tages begegnete Fräulein Potter, die sich auch im gesetzteren Alter eine lebhafte Fantasie und ein
nachgerade kindliches Gemüt bewahrt hatte, einem lieben Mann mit dickem Schnäuzer. Dieser liebe Mann hiess Norman Warne und war der jüngste Sohn einer Verlegerfamilie. Herr Warne war soeben ins
Familiengeschäft eingestiegen und hatte sich zuerst in Fräulein Potters Hasenzeichnungen und alsbald in Fräulein Potter selbst verguckt. Ein Leben auf der Erfolgswelle und im Liebesrausch hätte
das werden können, denn Fräulein Potter verkaufte dank Herrn Warne sehr viele ihrer Büchlein und hatte Herrn Warne auch ganz fest lieb. Doch dann geschah etwas Schlimmes, und deshalb muss jetzt
auf die übliche Märchen-Abschlussformel verzichtet werden.
Prototypisches Ensemble
Über weite Strecken schaut es in «Miss Potter»
für die von Renée Zellweger mit gewohnt lieblichem Charme gespielte Protagonistin so gar nicht nach einem Hindernislauf zum lang ersehnten Glück aus, sondern vielmehr nach einem Weg, der ein
leichter sein wird und weder steinig noch schwer werden dürfte. In der gediegenen und gefälligen Inszenierung von dem nach elfjähriger Pause hinter die Kamera zurückgekehrten «Babe»-Regisseur
Chris Noonan wird einem eine runde Stunde lang leichte, aber kaum seichte Unterhaltung ohne Opulenz und Tragik geboten. Unterlegt von einem lüpfigen und sterbenslangweiligen Soundtrack, wird in
hellsten Farben die Entwicklung einer jungen Frau aufgezeigt, die sich mit Hilfe ihres Verlegerfreunds (Ewan McGregor) vom zeichnenden Mädchen aus den eingeflochtenen Rückblenden zur
selbständigen und selbstbewussten Künstlerin mausert. Das komödiantische Rahmenprogramm wird dabei wie für räumlich und zeitlich dergestalt verortete Filme quasi vorgeschrieben von einem fast
vollständig erschienenen Ensemble der Prototypen besorgt: also von steifen Aristokraten, fiesen Snobs, grenzdebilen Stelzböcken, burschikosen Weibern, kauzigen Bediensteten, emanzipierten
Vorbildern, dem eigentlich verständnisvollen Vater, der völlig bornierten Mutter und dem leicht verklemmten Herzbuben.
Süsses Schmunzeln
Inmitten dieser mässig bunten Schar, der auch Emily Watson (emanzipiertes Vorbild) angehört, hat sich Renée Zellweger ihre sage und schreibe sechste Golden-Globe-Nominierung in den letzten sieben
Jahren erspielt. Und dies keineswegs unverdient. Zellweger wie auch McGregor und Watson tun hier zwar nur das, was sie (am besten) können und fast immer zeigen, das indes ziemlich gut. Ebenfalls
Mühe gegeben haben sich die besonnene Regie, das kompetente Set- und Kostümdesign sowie Schreiberling Richard Maltby Jr., der das Ganze mit einigen flotten Dialogen aufgepeppt hat. Auf den
letzten Metern geht «Miss Potter» freilich gleichwohl ein wenig die Luft aus. Nachdem sich wie aus dem Nichts doch noch eine für den mittlerweile eingelullten Zuschauer nur schwer zu
akzeptierende und so gar nicht ins bisherige Bild passende Katastrophe ereignet hat, schleppt sich die Geschichte gleichsam orientierungslos zur Ziellinie. Nun ist zwar die Zeit der
unvermeidlichen Weitwinkel-Landschaftsaufnahmen sowie der bis dato noch absenten Prototypen (knorriger Kaffer, gieriger Unternehmer, fescher Naturbursche) gekommen; doch irgendwie scheint es, die
letzten 20 Minuten seien bloss der Vollständigkeit halber und zur Sicherstellung eines halbwegs heiteren Abschlusses gedreht worden. So entsteht letztlich denn auch der Eindruck einer etwas
unausgewogenen Gesamtkomposition, wenngleich man zuvor gut, das heisst mit reichlich Süssem und manchem zum Schmunzeln bedient worden ist.