Immer an der Seite von Schlächtern und Schakalen

Barbet Schroeders Dok-Film «L’avocat de la terreur» ist nicht nur ein Porträt des umstrittenen Anwalts Jacques Vergès, sondern auch ein Abriss Geschichte des internationalen Terrorismus.

 

von Sandro Danilo Spadini

Als Erster kommt Pol Pot zu Wort. Ein Mann, dessentwegen bis zu zwei Millionen Kambodschaner ihr Leben verloren. Pol Pot ist ein Freund von Jacques Vergès. So wie zahlreiche andere Diktatoren und Terroristen. Ihnen hat der heute 83-jährige französische Anwalt Jacques Vergès juristisch beigestanden, hat Partei ergriffen für die algerische Widerstandskämpferin Djamila Bouhired, die er später ehelichte, für palästinensische Flugzeugentführer, RAF-Mitglieder, den internationalen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez alias «Carlos der Schakal», den als «Schlächter von Lyon» bekannten Gestapo-Offizier Klaus Barbie, den Holocaust-Leugner Roger Garaudy, den togolesischen Diktator Gnassingbé Eyadéma und zuletzt für Slobodan Milošević. Auf die Frage, ob er auch noch Hitler verteidigt hätte, antwortet Vergès: «Ich würde sogar Bush verteidigen. Aber nur, wenn er sich schuldig bekennt.»

Dubioses und Skurriles

Jacques Vergès also. Dieser obskuren wie enigmatischen Person hat der in Iran als Sohn eines Schweizers geborene französische Regieroutinier Barbet Schroeder einen Film gewidmet, namentlich den treffend betitelten Dokumentarstreifen «L’avocat de la terreur». Das mag zunächst überraschen, ist Schroeder dem breiten Publikum doch mittlerweile als Fabrikant von nur knapp überdurchschnittlicher Thrillerkost wie «Single White Female» oder zuletzt «Murder by Numbers» ein Begriff; etwas in Vergessenheit geraten ist darob, dass er 1974 mit «Général Idi Amin Dada» schon einmal im Dok-Genre für Furore gesorgt hat. Einen noch besseren Anknüpfungspunkt für seinen im Vorjahr in Cannes vorgestellten neuen Film findet sich gleichwohl andernorts in Schroeders Œuvre: In dem vom legendären «Fall Sunny von Bülow» berichtenden Justizthriller «Reversal of Fortune» (1990) kam Schroeder in Person von Alan Dershowitz schon einmal in Kontakt mit dem skrupellosen Rechtsvertreter eines «Monsters», eines starrkühlen Mannes, der im Verdacht stand, seine steinreiche Frau ins Koma befördert zu haben. Wie damals unterlässt es der Regisseur auch hier nun, klar Position zu beziehen, und verzichtet diesmal sogar fast vollständig auf das Elaborieren des juristischen Aspekts wie auch der philosophischen Komponente. Stattdessen lässt er einfach erzählen, lässt dubiose Gestalten zu Wort kommen, die uns mit mysteriösen Geschichten und skurrilen Anekdoten verblüffen, und lässt einen charmant bis selbstverliebt parlierenden, entspannt-elegant zigarrenrauchenden Jacques Vergès in der Vergangenheit schwelgen. Wiewohl der faktenreiche Film weit über zwei Stunden dauert, vermag Schroeder dem doch so redseligen und bisweilen noch immer unverblümt sich echauffierenden Interviewpartner die letzten Geheimnisse indes nicht zu entlocken: Wo steckte Vergès zwischen 1970 und 1978, als er sich in den Untergrund verabschiedete? Inwieweit war das vormalige Aushängeschild der französischen Linksradikalen später auch politischer Akteur? War er zwischenzeitlich als Geheimagent tätig? Inwiefern reflektiert seine enge Beziehung zu dem berüchtigten Schweizer Nazi François Genoud seine politische Einstellung? Und vor allem: Was sind seine Beweggründe?

Denkarbeit gefordert

Gerade weil letztere Frage nur kurz gestreift wird und Schroeder nie auf Konfrontationskurs mit Vergès geht, qualifiziert sich «L’avocat de la terreur» nur bedingt als aufschlussreiches Psychogramm mit philosophischer Tiefe. Vielmehr wird das Subjekt allmählich zum Objekt, anhand dessen die Geschichte des internationalen Terrorismus (und Widerstands) mit teils verblüffenden Erkenntnissen aufgezeigt wird. Um sich dieser auch gewahr zu werden, ist angesichts des fast horrenden Tempos und der detailreichen Schilderungen freilich einiges an Konzentration und Vorwissen vonnöten. Nur selten erbarmt sich Schroeder, mittels dürrer Inserts Erklärungen oder Erläuterungen zu Begriffen und Personen zu liefern. Recht eigentlich lässt die Regie gleich einem strengen, aber guten Lehrer einen allein – allein mit den am Ende dieses hoch faszinierenden Films zu sortierenden historisch-politischen Implikationen und allein auch mit der Frage, was man von diesem Jacques Vergès und seinem Tun denn nun halten soll.