...da werden Weiber zu Hyänen

An der Seite von Kevin Costner präsentiert sich Joan Allen als verlassene Ehefrau in der mit Herz, Hirn und Humor inszenierten Tragikomödie «The Upside of Anger» in Oscar-reifer Form.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Euer Vater ist ein kleiner Mann. Ein sehr kleiner Mann», lallt die schon reichlich beschwipste Terry Ann Wolfmeyer (Joan Allen) ihren vier Töchtern (Alicia Witt, Erika Christensen, Kerri Russell, Evan Rachel Wood) entgegen. Verlassen hat er sie, der sehr kleine Lump, sitzen gelassen hat er sie und die vier bezaubernden Mädchen, durchgebrannt ist er mit seiner schwedischen Sekretärin, weg ist er – ohne Vorwarnung, ohne Abschiedsgruss, ohne nichts. So was bringt die noch stärkste Frau aus der Fassung, und Terry Ann Wolfmeyer war definitiv einmal eine starke Frau. Jetzt aber ist sie traurig. Verzweifelt. Und wütend. Vor allem wütend, fast nur noch wütend, fast immer wütend. Bald wird sich denn auch der Alkoholpegel erhöhen und der Ton verschärfen: «Er ist ein Schwein, euer Vater – bloss ein niederträchtiges, selbstsüchtiges, abscheuliches Schwein.» Immerhin findet die dergestalt in ihrem Stolz verletzte Schnapsdrossel mit Schluckspecht Denny (Kevin Costner) schon kurz nach dem Abflug des Gatten einen verlässlichen «drinking buddy». Für dessen rauschhafte Avancen ist sie zunächst zwar noch unempfänglich; doch je öfter der abgehalfterte Ex-Baseballstar nach seiner täglichen Tingeltour zwischen Baumarkteröffnungen und launigen Radioshows mal kurz auf ein Bierchen vorbeischaut, desto schwindender werden ihre Abwehrkräfte. Steter Tropfen höhlt halt nicht nur die Birne, sondern bekanntlich auch den Stein.

Respekt vor Figuren

Obwohl sich zwischen Terry und Denny allmählich Amouröses entwickelt, ist «The Upside of Anger» kein Liebesfilm. Und obwohl hier schon des Morgens ganz ordentlich gebechert wird, ist das kein Alkoholikerdrama. Vielmehr ist diese in London gedrehte, aber in den Detroiter Suburbs angesiedelte Filmperle eine nie belehrende, stets warmherzige, oft berührende und bisweilen aberwitzige Studie über den Umgang mit Enttäuschungen. Über die Ohnmacht, die sich einstellt, wenn Wut und Schmerz so gross werden, dass es nicht mehr auszuhalten ist. So steht Terry immer kurz vor dem Zusammenbruch, wankt wie ein angeschlagener Boxer, stolpert und taumelt. Umfallen lässt sie der auch für das mit messerscharfen Dialogen gespickte Skript verantwortlich zeichnende Mike Binder aber nicht – dafür hat er zu viel Respekt vor seinen Figuren, dafür mag er diese trotz all ihrer schonungslos, aber verständnisvoll aufgezeigten Defizite zu sehr. Denn bei allem Klamauk nimmt er ihre Sorgen ernst und verschachert ihre Seelen nicht etwa für ein paar billige Lacher. Binder sagt seinen sich meist herrlich unerwachsen aufführenden Figuren nicht, wie sie ihr Leben führen sollen; er akzeptiert es, dass ein Typ wie Denny recht zufrieden damit ist, die Überreste seines Ruhmes zu versaufen und verkiffen. Und selbst wenn er Terry immerzu das Falsche im falschen Moment zu ihren tapferen Töchtern sagen lässt, lässt er keinen Zweifel daran, dass sie es im Grunde gut meint. Das Herzliche und Warme durchzieht so – und mittels herbstlich-harmonischer Farbkomposition auch visuell – diesen sauber und mitunter überaus hübsch fotografierten Streifen vom Anfang bis zum intelligent überraschenden Ende.

Lupenreiner Volltreffer

Mike Binder hat die Rolle der Terry eigens für Joan Allen geschrieben. Den stargeilen Blinden in den Hollywood-Chefetagen war die 49-Jährige aber zu wenig glamourös, weshalb sich Binder anderweitig umsah und sein Herzensprojekt mit kleinem Geld ausserhalb des Studiosystems von seinem Bruder Jack produzieren liess. Allen bedankt sich dafür mit einer Leistung, die ihr nach Glanzauftritten in Campbell Scotts «Off the Map» und Sally Potters «Yes» das Independent-Verdienstkreuz bescheren muss und nach «Nixon», «The Crucible» und «The Contender» hoffentlich die vierte Oscar-Nominierung einbringen wird. Trotz sagenhafter Präsenz gewährt sie dabei auch ihren verblüffend glaubwürdigen Filmtöchtern (allen voran der himmlischen und leider nach wie vor sträflich unterschätzten Alicia Witt) reichlich Raum zur Entfaltung, sodass diese – von Binder mit einem je eigenen Subplot versehen – nicht bloss appetitliches Beigemüse bleiben, sondern recht eigentlich das Salz in der Suppe bilden. Den borstigsten (und lustigsten) Part übernimmt der einstige Stand-up-Comedian Binder derweil gleich selbst – und brilliert auch da. Und Kevin Costner? Der verleiht dem frauendominierten Film eine herb-männliche Note, macht mit einem Galaauftritt seine früheren cineastischen Gräueltaten vergessen – und landet mit «The Upside of Anger» endlich mal wieder einen lupenreinen Volltreffer.