von Sandro Danilo Spadini
Was den Voraus-Hype angeht, konnte «Cargo» jedenfalls mit Hollywood mithalten. Ein Brimborium solch unschweizerischen Ausmasses erzeugt freilich auch eine gewisse Erwartungshaltung und kann im
ungünstigen Fall auf einen zurückschlagen. Der Fall von «Cargo» ist jedoch recht günstig. Kurz nach dem Vorspann darf etwa schon mal konstatiert werden, dass der als «erster
Sciencefiction-Film made in Switzerland» annoncierte Kinoerstling des 38-jährigen Winterthurers Ivan Engler auch in der nicht unwichtigen Genre-Sache des Produktionsstandards einiges kann. Wir
sind dann, wenn wir das freudig feststellen, bereits an Bord der «Kassandra», eines sehr schlecht gealterten Raumfrachters, den unsere Heldin Laura (die deutsche Kinodebütantin Anna-Katharina
Schwabroh) einmal treffend als «Schrotthaufen» beschreiben wird. Eingefunden hat sich die junge Ärztin hier, weil sie Geld braucht; Geld braucht sie, weil sie zu ihrer Schwester auf den Planeten
RHEA reisen will; und nach RHEA will sie, weil die Erde nach einem Öko-Kollaps unbewohnbar geworden ist und die den Überlebenden Obdach gebenden Raumstationen völlig überfüllt sind.
Blinder Passagier?
Für vier Jahre hat sich Laura verpflichtet, auf die tiefgefroren im Kälteschlaf schlummernde Besatzung Obacht zu geben; wir kriegen vor allem die letzten vier Monate ihrer Reise zur entlegenen
Raumstation 42 mit. Nachdem zuvor wohl alles gut und ruhig verlaufen ist, mehren sich just kurz – also relativ kurz – vor der Ziellinie die mysteriösen Vorkommnisse. Ein blinder Passagier könnte
dafür verantwortlich sein, womöglich gar der Terrorist Bruckner (Kurzauftritt Gilles Tschudi). Der mit zwielichtiger Autorität auffällig gewordene Flugmarschall Samuel (Martin Rapold) bezweifelt
das zwar, doch die Crew wird dennoch mal geweckt. Für uns bedeutet das ein schnelles Wiedersehen mit der anfangs kurz vorgestellten Besatzungsbesetzung, namentlich mit Michael Finger, Regula
Grauwiler, Yangzom Brauen, Pierre Semmler und dem deutschen Grobian Claude-Oliver Rudolph. An allen werden wir uns indes nicht allzu lange erfreuen können, gilt es doch bald die ersten
unnatürlichen Todesfälle zu verzeichnen. Was im ersten Drittel wie eine meditative All-Klausur im Stile von «Solaris» gewirkt hat, scheint nun in Richtung «Mord im Orion-Express» zu gehen, um es
mal mit einem kleinen Scherz zu versuchen. Doch Laura ist kein Hercule Poirot, und Engler mag dann auch nicht so recht auf Agatha Christie machen und lenkt die Geschichte stattdessen auf die
Verschwörungsspur. Mindestens so interessant wie die Suche nach dem Mörder wird nämlich die Frage, was sich eigentlich in den zahllosen Containern an Bord befindet und wohin die Reise wirklich
gehen soll.
Fantastisches Set
Der spektakuläre Showdown wird diese Fragen wohl beantworten, andere jedoch offenlassen – zumal es am Ende doch recht knifflig wird und die Publikumsführung wie auch die Akustik ein wenig zu
wünschen übrig lassen. Manche wird zudem das vor allem, aber nicht nur anfangs sehr gemächliche Erzähltempo irritieren, doch trägt ebendies wesentlich zur Kernqualität von «Cargo» bei: der sich
schleichend einstellenden gespenstischen Atmosphäre. Bei deren Erzeugung geholfen haben natürlich auch das fantastische Set im schäbig-industriellen Look sowie die Fähigkeit Englers und seines
Ko-Regisseurs Ralph Etter, dieses optimal zur Geltung zu bringen. Abwechselnd betonen sie das Klaustrophobische und das in grossartigen Totalen eingefangene Weite des Schauplatzes – alles wie in
Zeitlupe, stets von dramatischer Musik untermalt und kaum gestört von dem recht spärlichen (hochdeutschen) Dialog. Was bei den formalen Kabinettstückchen freilich fast auf der Strecke bleibt,
sind die Figuren. Sie werden von dem gleich zu fünft verfassten Drehbuch und auch der Regie grösstenteils in der Anonymität belassen, worunter das emotionale Engagement des Publikums am Ende doch
arg leidet. Der nicht ideal erzählte, aber intelligent überraschende Plot vermag diese Scharte indes auszuwetzen – und den Hype um «Cargo» letztlich als gerechtfertigt erscheinen zu lassen.