Three Identical Strangers

 

Der Schmäh, dass dieser oder jener Dokumentarfilm spannender, prickelnder, spezieller sei als jeder Hollywood-Streifen, gehört ja zum Standardrepertoire jener, die sich zum genuin Authentischen hingezogen fühlen und glitzernden cineastischen Träumereien kritisch gegenüberstehen – sowie jener, die auch mal gerne so tun wollen. Und oft genug ist diese Einschätzung nichts weiter als grossspuriges Wunschdenken, gegen den Mainstream strebende Intellektuellen-Hochstapelei sozusagen. Dann aber kommt etwas wie «Three Identical Strangers» dahergeschlichen: ein ebenso faszinierendes wie intelligentes Wunderwerk, perfekt getimt vom jungen Dokfilmer Tim Wardle, voller Überraschungen, staunenswert und atemberaubend. Und nun ist man halt doch auch versucht, diese ewige Floskel herunterzubeten und vielleicht noch kaum origineller beizufügen, dass das Leben halt die besten Geschichten schreibe. Denn diese hier, die ist schlicht zu unglaublich, zu surreal geradezu, als dass sie erfunden sein könnte. An ihrem Anfang steht der für den 19-jährigen Bobby Shafran von Grund auf seltsame erste Tag an einem New Yorker College im Jahr 1980. Obwohl er noch nie zuvor dort gewesen ist, scheint ihn jeder zu kennen. Wie sich dann jedoch herausstellt, liegt eine Verwechslung vor: Bobby hat einen Zwillingsbruder, der wie er selbst adoptiert worden ist. Die Zusammenführung der beiden ist ein derart grosses Ding, dass sogar die lokale Presse darüber berichtet. Und damit erfährt die ohnehin schon stupende Geschichte dann jene Pointe, die sie vollends ins Reich des Unfassbaren kippt: Es meldet sich ein paar Monate später noch ein weiterer junger Mann, der identisch ausschaut und als Baby von derselben Adoptionsagentur an seine Pflegeeltern vermittelt worden ist.

Es wird dies freilich nicht die letzte Pointe bleiben. Denn nachdem die «drei identischen Fremden» mit Verspätung zur naturgemässen unzertrennlichen und verschworenen Einheit zusammengewachsen sind und es mit Talkshow-Auftritten und gar einem Cameo im Madonna-Film «Desperately Seeking Susan» zu nationaler Prominenz gebracht haben, nimmt die Story eine Wendung ins Mysteriöse, ins Verschwörerische und endlich ins Schockierende; die überschäumende Heiterkeit weicht allmählich einer latenten Düsternis, eine zunächst noch namenlose Tragik verdrängt die Komik des Absurden, und der Film wendet sich nach der Party mit detektivischem Eifer und wissenschaftlicher Expertise schliesslich etwas völlig anderem zu: der ewigen psychologischen Debatte «Nature versus Nurture», also der Frage, ob das Verhalten eines Menschen durch seine Gene vorbestimmt ist oder ob es von seiner Umwelt, seiner Erziehung und dem Milieu, in dem er aufwächst, geprägt wird. Das ist nun natürlich ein komplett anderer Film. Was jedoch gleich bleibt: Man mag kaum glauben, was man da sieht und hört. Und man kann sich einfach nicht davon abwenden. Das ist, verzeihen Sie, tatsächlich unendlich viel besser als so mancher Hollywood-Film.