Die lange Irrfahrt auf den Country-Roads

Der grosse Jeff Bridges hat jetzt endlich auch seinen Oscar. Warum, ist in dem herzerwärmenden Musikerdrama «Crazy Heart» zu sehen und zu hören.

 

von Sandro Danilo Spadini

Jetzt ist es nur noch eine Kegelbahn in Colorado. Früher waren es die angesagten Clubs und die grossen Hallen, die Bad Blake mit seinen erdigen Country-Klängen gefüllt hat. Und heute muss er, 57-jährig und chronisch pleite, morgens um fünf in seinen Pick-up steigen und 300 Meilen über Land tuckern, um also hier in Pueblo einer übersichtlichen Zuhörerschaft das zu geben, was sie will: die ewig gleichen alten Hits. Bad Blake stört das indes kaum – neues Material hat er ohnehin keines. Und auch andere Unbilden trägt er mit Fassung: dass die Groupies in die Jahre gekommen sind oder dass er an der Bar seinen Whisky nicht anschreiben kann. Nur als ihm in diesem Schuppen – Herrgott noch mal – sogar das Rauchen verboten wird, droht er kurz auszurasten. Man mag es ihm nicht verübeln – Rock ’n’ Roll sieht schliesslich anders aus.

Ein sehr intimes Interview

Bad Blake ist sowieso der Typ, dem man nichts verübeln mag: nicht das Rauchen, nicht das Saufen, nicht das Fluchen. Ein Typ mithin, der Jeff Bridges wie auf den Leib geschrieben ist. Ja hätte der frischgebackene Oscar-Preisträger zuvor nicht schon den Dude in «The Big Lebowski» gespielt, müsste man sagen: Jeff Bridges wurde geboren, um Bad Blake zu spielen, und wird auch im nächsten Leben wieder primär dazu da sein, um Bad Blake zu spielen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil er hier, in dem Drama «Crazy Heart», auch sein nicht geringes gesangliches Format unter Beweis stellen darf. Ähnlich erfolgreich tut das notabene sein Co-Star Colin Farrell in der Rolle des Country-Superstars Tommy Sweet. Ihn hatte Bad Blake einst unter seinen Fittichen; längst jedoch hat ihn der virile Beau überflügelt. Geschehen ist das nicht ohne Misstöne, was Tommy aber nicht davon abhält, seinem abgesoffenen Mentor eine Comeback-Chance zu kredenzen: Songs soll er für ihn schreiben und – immerhin – als Opening Act mit auf Tournee kommen. Bad Blake ist davon trotz finanzieller Kalamitäten nicht allzu sehr angetan. Es scheint, als wolle er sich nicht stören lassen bei seiner Irrfahrt auf den Country-Roads, auf dem Highway in die Hölle. «Crazy Heart» wäre indes nicht der Film, der er sein möchte, und auch kein besonders interessanter Film, wenn sich dies nicht änderte. Den Sinneswandel wird ein wahrlich intimes Interview mit der Jungreporterin Jean (Oscar-nominiert: Maggie Gyllenhaal) bringen – die Liebe soll es hier also wieder einmal richten, soll diesen verantwortungslosen Tunichtgut, der seinen Sohn nicht kennt und seinen Körper fast schon kaputtgeschunden hat, mit sich und der Welt versöhnen.

Bridges über allem

Nein, die originellste Geschichte hat der Gelegenheitsschauspieler Scott Cooper bei seinem Regiedebüt nicht geschrieben und inszeniert. Das Wechselbad aus Delirium, Hoffnung, Enttäuschung, Wiedergutmachung, Vergebung und Läuterung ist absehbar; und die Abläufe in Bad Blakes Leben mit Highway-Fahrten, Auftritten, Telefonaten mit dem Manager und Besuchen bei Jean und deren Kind sind doch sehr repetitiv. Die Hits von «Crazy Heart» sind andernorts zu finden. Etwa beim Soundtrack mit Eigenkompositionen von T-Bone Burnett, Stephen Bruton und Ryan Bingham sowie ausgewählten Country-Klassikern wie Townes Van Zandts untersterblichem «If I Needed You». Löblich ist gerade auch, wie sachdienlich Cooper die Musik einsetzt: wie er sie parallel zum Geschehen immer nachdenklicher werden und in der Schlussszene in dem Oscar-prämierten Herzensbrecher «The Weary Kind» kulminieren lässt. Ebenso sorgfältig gewählt sind die Schauplätze: Angestaubt und abgehalftert, spiegeln sie quasi Bad Blake mit seinen verblassten Meriten. Auf fruchtbaren Widerspruch setzt Cooper derweil in den zahlreichen Szenen draussen an der Sonne in weitläufigen Gefilden, wo er darauf verzichtet, den bebenden Gefühlswelten monumentale Landschaftsaufnahmen gegenüberzustellen. Bei allen Verdiensten muss der Regisseur am Ende freilich hinter Jeff Bridges zurückstehen. Wie im Vorjahr Mickey Rourke in «The Wrestler» bietet dieser in einer ähnlichen Rolle eine Performance für die Ewigkeit. Er sei noch nie bekannt gewesen für seinen Charme, sagt sein Bad Blake einmal zu Jean. Wir wissen natürlich, dass das eine brandschwarze Lüge ist.