Mit biblischem Zorn und heiligem Furor

Mit dem hartgesottenen Actionthriller «Wrath of Man» setzt Regisseur Guy Ritchie seinen Weg zurück zu den Wurzeln fort. Herausgekommen ist ein saftiges Stück Kino, dem auch die hölzernen Mimen nichts anhaben können.

 Ascot Elite

von Sandro Danilo Spadini

Dem Chef ist dieser Patrick Hill (Jason Statham), den sie alle nur «H» nennen, bald einmal suspekt. «Ich fange an, zu glauben, dass er ein Psychopath ist», meint er, nachdem der Neue schon wieder im Alleingang einen Überfall auf den ihm überantworteten gepanzerten Geldtransporter vereitelt hat. Auch dem Kollegen schwant, dass sich das «nicht richtig anfühlt». Und ein anderer Kamerad schliesslich befand schon vom ersten Tag an: «Ich traue ihm nicht.» Sicher nicht widersprechen würde da Hs Ex. Für sie ist ihr Verflossener einfach nur «kalt», wobei sie dieser Eigenschaftszuschreibung freilich noch in sehr britischer Manier eine Verbalinjurie aus dem weiblichen Genitalbereich folgen lässt. Dabei ist der Protagonist in Guy Ritchies neuem Thriller «Wrath of Man» doch sicher einfach nur einer dieser in sich gekehrten Männer alten Schlags, einer dieser missverstandenen Kerle von echtem Schrot und Korn, die ihre feminine Ader noch nicht gefunden und wohl auch nie so intensiv gesucht haben. Oder am Ende doch nicht? Ist an den harschen Einschätzungen tatsächlich was dran? Der Punkt bei H ist: Wir wissen es schlicht nicht, und wir werden es auch nach der finalen Patrone in dieser zwei Stunden währenden, mit Verve und Schmackes auf die Leinwand gezimmerten Actionsalve nicht wissen. Das hat viel zu tun mit dem einiges im Unklaren belassenden Drehbuch, das Ritchie anhand des französischen Hits «Cash Truck» (2004) geschnitzt hat; mehr aber noch mit Jason Statham, diesem früheren Profi-Wasserspringer und Model, das einst in Ritchies ersten Kinostreichen «Lock, Stock and Two Smoking Barrels» und «Snatch» hospitierte und nun als verdienter Actionstar altväterischen Kalibers zu seinem Entdecker zurückkehrt. Denn «The Stath» hat zwar zweifelsfrei seine Qualitäten, die er auch hier sachdienlich einzubringen vermag; einer Figur Tiefe zu verleihen, gehört indes nicht dazu. Und so bleibt dieser mürrisch stoische H halt ein bisschen ein Mysterium.

Nicht zum Scherzen aufgelegt

Bleiben wir also bei dem, was gesichert ist, und beschränken uns auf das, was verraten werden kann, ohne die Clous und Coups in diesem labyrinthischen und wendungsreichen Plot zu verhageln: Nachdem in der fulminanten Auftaktsequenz ein Geldtransporter in den Strassen von L.A. überfallen und zwei Sicherheitsleute sowie ein junger Zivilist erschossen worden sind, meldet sich H bei der zu Schaden gekommenen Firma zum Dienst. Ein Zufall wird das nicht sein. Und dass er die Aufnahmekriterien trotz zwei Jahrzehnten Erfahrung im Securitybereich nur knapp erfüllt und beim Schiesstest bloss mässig abschneidet, muss gar nichts heissen. Lange dauert es jedenfalls nicht, bis die ehedem noch skeptischen Kollegen diesem einsilbig schnodderigen Haudegen ihren Respekt zollen. Denn H entfaltet schon bald wahre Superkräfte und erweist sich so als Wunderwaffe in diesem Hochrisiko-Job; wenn das so weitergehe, bekomme er schon bald seine eigene Merchandising-Linie, scherzt der Boss sogar. Ein Schmunzeln erntet der damit freilich nicht – H ist nicht zum Scherzen und nicht zum Schmunzeln aufgelegt. Er scheint vielmehr auf einer Mission zu sein, auf der Jagd, auf einem Rachefeldzug, bei dem er getrieben von biblischem Zorn und heiligem Furor eine Schneise der Zerstörung hinterlassen und so lange nicht ruhen wird, bis jene bitterlich bezahlt haben, die ihm unrecht getan haben. Koste es, was es verdammt noch mal wolle.

Die Handschrift wiedergefunden

Knackig übersetzt heisst das mithin: Der mit «Wrath of Man» adäquat dramatisch und pompös betitelte neue Schabernack von Guy Ritchie ist eine dezidiert männliche, sprich adrenalingeschwängerte und testosteronbeseelte Angelegenheit, die schon ein klein wenig Spass daran hat, dass sie ziemlich aus der Zeit gefallen wirkt. Auch der düster dröhnende, schwer stampfende Soundtrack von Christopher Benstead ist nichts für zarte Pflänzchen, und das Umkleideraumgeplänkel der vierschrötigen Heisssporne hat durchaus das Potenzial, für Schnappatmung im Genderseminar zu sorgen. Immerhin aber hält Ritchie seinen inneren Witzbold für einmal im Zaum, und auch wenn er sich nicht en détail für seine Figuren zu interessieren scheint, so lässt er der Sache damit doch den gebührenden Ernst angedeihen. Was dann glatt als Kurswechsel zum Vorgängerwerk «The Gentlemen» durchgeht, mit dem der englische Raufbold nach einem kommerziell höchst lukrativen Jahrzehnt mit weitgehend gesichtslosen grossen Kisten à la «Sherlock Holmes», «King Arthur» oder «Aladdin» vor rund zwölf Monaten erst den Weg zurück zu den Wurzeln eingeschlagen und seine Handschrift wiedergefunden hat. Mit «Wrath of Man» bleibt Ritchie zwar auf diesem Pfad Richtung angestammtes Terrain, wovon nicht zuletzt die Reunion mit Statham, aber auch das auf der Zeitachse flippernde, in vier Teile gesplittete und mit Perspektivenwechseln gespickte Skript zeugt, das wie so vieles bei ihm vorgibt, cleverer und origineller zu sein, als es wirklich ist. Und doch gibt es hier noch einen weiteren markanten Unterschied zu «The Gentlemen», dem wohl besten Ritchie-Film seit «Snatch». So offenbart bereits der allerflüchtigste Blick auf die Besetzungsliste, dass mimische Filetstücke diesmal definitiv nicht zuoberst auf dem Menüplan stehen. Neben allerlei Namenlosen, von denen nicht wenige ihre britische Herkunft mit einem notdürftigen amerikanischen Akzent zu verbergen suchen, und neben Statham, der dank dem englischen Background seiner Figur sich nicht mit so einem Scheiss befassen muss, finden sich hier mit Josh Hartnett und Scott Eastwood auch zwei halbwegs prominente Vertreter ihres Fachs. Doch deren Versuche zu schauspielern scheitern so kläglich wie unlängst jener von Gerard Butler in dem artverwandten, noch ein bisschen längeren und mindestens so guten Thriller «Den of Thieves». Aber womöglich, wer weiss, steckt da gar Absicht dahinter: um so den bekanntermassen doch recht limitierten Leading Man besser ausschauen zu lassen. Statham jedenfalls ist effizient, macht das, was er soll, und glänzt obendrein mit raumgreifender Präsenz. Und sowieso können das gelegentlich hölzerne Spiel und die bisweilen holprigen Dialoge diesem hartgesottenen Actionkracher nichts anhaben. Dafür ist das ein viel zu saftiges Stück Kino: üppig und muskulös, ausladend und ausschweifend, überall zu dick aufgetragen und immer zu laut vorgetragen, aber am Ende gerade so, wie einem das halt taugt, wenn mans gerne herb und ruppig hat. Und wenn man sich damals, vor über 20 Jahren, in die Schandtaten dieses Guy Ritchie verguckt hat.