Im Zeichen des Truthahns

Mit kleinstem Geld, viel Feingefühl und einer wohl bemessenen Portion schwarzem Humor hat der erfolgreiche Roman- und Drehbuchautor Peter Hedges sein Regiedebüt «Pieces of April» inszeniert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Eigentlich sind sie sich ja sehr ähnlich. Vermutlich sogar zu ähnlich. Denn Gleich und Gleich gesellt sich halt nicht immer gerne. Mutter Joy (Oscar-nominiert: Patricia Clarkson) und Tochter April (Katie Holmes), diese beiden starken wie eigenwilligen Frauen, finden einfach keinen Draht zueinander. April hat das elterliche Heim zwar schon vor geraumer Zeit verlassen, um in einer schäbigen, kleinen Wohnung in New York zu leben, doch auch die räumliche Distanz hat das Verhältnis nicht verbessern können. Zu tief scheinen die Wunden, die sich die beiden im Laufe der Jahre gegenseitig zugefügt haben: hier die ausgeflippte Punk-Göre mit ausgeprägtem Autoritätsproblem, dort die dominante Zynikerin mit emotionalen Defiziten. Nun aber steht Thanksgiving vor der Türe, und dies ist wahrscheinlich die letzte Gelegenheit, doch noch einmal alles ins Lot zu bringen. Denn Joy ist an Brustkrebs erkrankt, trägt ihr Schicksal zwar mit einer Mischung aus Mut, Verzweiflung und Galgenhumor, weiss aber auch, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Gleichwohl steht ihr der Sinn nicht nach Versöhnung, weshalb sich ihre Begeisterung denn auch in Grenzen hält, als April die Familie zum traditionellen Truthahnessen zu Thanksgiving nach New York einlädt.

Tragik und Komik

Sosehr sie sich auch den Kopf zerbreche, ihr falle bloss eine einzige schöne Erinnerung an ihre älteste Tochter ein, sagt Joy einmal und beginnt eine nette, kleine Anekdote aus Aprils Kindheitstagen zu erzählen. Eine einzige schöne Erinnerung! Das ist eigentlich traurig genug – doch es kommt noch schlimmer: «Das war ich, Mom!» wirft die jüngste Tochter ein. «Das habe ich damals zu dir gesagt.» Das ist die Art von subtilem schwarzem Humor, mit dem die berührende, kleine und feine Tragikomödie «Pieces of April» immer wieder die beklemmende, bedrückende Atmosphäre auflockert und wo man bisweilen nicht so recht weiss, ob man jetzt weinen oder lachen soll. Ganze 300'000 Dollar standen Regisseur Peter Hedges für die Realisierung seiner warmherzigen Mutter-Tochter-Geschichte zur Verfügung. Gedreht wurde folgerichtig auf günstigem digitalem Material, die Ausstattung ist kaum der Rede wert, und für einen richtigen Soundtrack hat es auch nicht gereicht. Umso motivierter gehen aber die Schauspieler und der Regisseur zu Werke, der sich bislang als Schriftsteller und mit Adaptionen dreier trotz der gemeinsamen Thematik «Familie» recht unterschiedlicher Romane hervorgetan hat: Derweil beim Drehbuch zum starbesetzten, zu Unrecht völlig untergegangenem Drama «A Map of the World» (Vorlage: Jane Hamilton) eindeutig das Tragische und bei der Nick-Hornby-Adaption «About a Boy» (Oscar-Nominierung für Hedges) eher das Komische im Vordergrund stand, waren diese beiden Elemente bei «What’s Eating Gilbert Grape?», wo Hedges seinen eigenen Roman für die Leinwand zurechtschrieb, geschickt und feinfühlig ausbalanciert. Hier setzt nun auch sein am Sundance Film Festival mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnetes Regiedebüt «Pieces of April» an, das zudem wieder Hedges’ Vorliebe für schräge Figuren und natürlich eine schrecklich nette Familie zeigt.

Keine Gefühlsduselei

Vereint ist diese Familie aber erst ganz zum Schluss: Während die in der Küche völlig unbedarfte April stets am Rande der Verzweiflung steht und die Truthahnzubereitung sie auf eine absurde Mini-Odyssee führt, ist die Anfahrt der Familie geprägt von Anspannung und allerlei kuriosen Zwischenfällen. Das Prinzip heisst in beiden Fällen Chaos, für Ordnung müssen die zwei Männer sorgen, Paterfamilias Jim (sympathisch: Oliver Platt) und Aprils Freund Bobby (Derek Luke), zwei Felsen in der Brandung, fürsorglich, selbstlos, liebenswert, ganz klar im Schatten ihrer starken Frauen stehend und sich dort offenbar wohl fühlend. Eher aus finanzieller Not geboren ist dann der etwas abrupte und formal ungewöhnliche Schluss des lediglich rund 80-minütigen Films. Wundersamerweise fügt er sich aber wunderbar ins Gesamtbild ein und erweist sich letztlich als perfekt, indem er die genretypischen Erwartungen unterläuft und die Bilder für sich sprechen lässt. Der Worte sind zuvor schliesslich auch genug gewechselt worden, und aller Tragik zum Trotz scheint unnötige Gefühlsduselei nicht das Ding von Peter Hedges zu sein.