Der Filmstar ist tot – es lebe der Schauspieler!

Die Statistik lügt nicht: Die grossen Namen ziehen an den Kinokassen immer weniger. chaut man sich die Sache genauer an, merkt man freilich, dass das auch mit einer veränderten Einstellung der Betroffenen selbst zu tun hat. Eine These.

 

Von Sandro Danilo Spadini

Als wäre das Leben eines Hollywood-Stars nicht schon kompliziert genug: Nun wird er von der schreibenden Zunft auch noch lebendigen Leibes begraben. Gut hörbar hallen derzeit aus dem an die Traumfabrik angrenzenden Blätterwald, in welchem Branchenzeitschriften wie «Variety» oder der «Hollywood Reporter» meinungsbildend sind, immer öfter Grabreden auf den Filmstar traditioneller Prägung. Grund dafür sind unlängst publizierte Zahlen, die belegen, dass die grossen Namen an den Kinokassen immer weniger ziehen. So wurde errechnet, dass in der vergangenen Dekade noch zwei Drittel der jährlichen Top-Ten-Filme ihr monetäres Rendement einer gewissen Starpower zu verdanken hatten – derweil seit Anbruch des aktuellen Jahrzehnts sich diese Zahl schnöde halbiert haben soll. Gefolgert wird aus diesem Zahlenspiel – bisweilen durchaus mit Häme –, dass die klangvollen «Headliners» ausgedient haben, und impliziert wird im selben Atemzug oder Federstrich, dass sie sich dafür schämen sollten.

Die Suche nach dem Killer

In der Tat lügt die Statistik nicht. In einem mit «Who Killed the Movie Star?» betitelten Artikel belegt etwa das «Radar Magazine» minutiös, dass Top-Acts wie Tom Cruise, Adam Sandler, Jim Carrey, Brad Pitt, George Clooney, Ben Stiller, Will Ferrell und Reese Witherspoon (sie taucht hier auf, weil sie – man staune – die derzeit bestbezahlte Frau Hollywoods ist) im vergangenen Jahr jeweils Filme gedreht haben, die in den USA weniger als 40 Millionen Dollar eingespielt haben. Die magische Grenze für einen als erfolgreich gewerteten Kino-Release liegt notabene bei satten 100 Millionen Dollar – eine Marke, die auch die jüngsten Arbeiten von Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz oder Johnny Depp nicht erreicht haben. Den ganz grossen Reibach haben 2007 stattdessen Streifen generiert, die auf ihrer Besetzungsliste vergleichsweise unillustre Namen führen: «Spider-Man 3», «Shrek the Third» oder «Transformers», die am US-Markt allesamt sogar die 300-Millionen-Marke geknackt haben. Blickt man auf diese Hits zurück, lässt sich denn auch die im «Radar Magazine» gestellte Frage nach dem Killer des Filmstars relativ leicht beantworten: Es war die Computertricktechnik, fachmännisch CGI genannt, die den grossen Namen den Garaus gemacht hat. Und bleibt man noch einen Moment bei diesem Gedanken, so lässt sich wohl postulieren, dass die derzeitige Star-Malaise letztlich auf die bereits von Spielberg und Lucas in den Siebzigern lancierte Verjüngung oder eben Infantilisierung eines mehr an Trick- denn Schauspieltechnik interessierten Publikums und das daraufhin veränderte Studio-Marketing zurückgeht. Dem dergestalt demografisch gewandelten Mainstream-Publikum der Gegenwart ist es nämlich tendenziell egal, ob ein Superstar oder ein No-Name im Comichelden-Kostüm steckt (den Protagonisten des letzten Superman-Films etwa kennt kein Mensch). Es schaut sich den Film sowieso an – wegen dem Krawumm, dem Jöh und dem Boah. Oder eben, weil die auch in der Filmindustrie längst im roten Bereich laufende und immer aggressiver werdende Marketingmaschinerie es dazu anhält und gleichsam in die Kinosäle peitscht.

Stars auf Abwegen

Armer Filmstar also, möchte man da zunächst mitleidig (oder eben schadenfroh) ausrufen. Doch brauchen die Hollywood-Ikonen tatsächlich unser Mitleid? Nicht wirklich, kann man mit Blick auf deren jüngeres Wirken letztlich konstatieren. Denn wäre einem Tom Cruise allen Ernstes daran gelegen, kraft seiner Starpower die Kassen der grossen Studios noch praller zu füllen, würde er doch wohl kaum in einem sperrig kammerspielartigen (und hoch intelligenten) Film wie Robert Redfords «Lions for Lambs» mitspielen; es würde ein George Clooney, wäre er an einem Status als Kassen-Aphrodisiakum interessiert, auch nicht in einem dezenten (und brillanten) Drama wie «Michael Clayton» mitwirken; es würde ein einzig auf das Box-Office-Resultat schielender Brad Pitt eher die Finger lassen von einem entgegen allen modernen Konventionen schneckenlangsam erzählten (und wundervollen) Western wie «The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford»; es würde eine den Traum vom Kinokassen-Zugpferd träumende Angelina Jolie nicht unter der Regie des englischen Intellektuellenfilmers Michael Winterbottom die quasi dokumentarische (und überaus respektvolle) Tragödie «A Mighty Heart» drehen; und es würden sich Tom Hanks und Julia Roberts gewiss einen anderen Film als die anspruchsvolle (und blitzgescheite) Satire «Charlie Wilson’s War» aussuchen, würden sie das Konto über die Kunst stellen. Nein, der heutige Superstar braucht unser Mitleid nicht, und es scheint fast, als brauche er auch die Zuneigung der Studio-Buchhalter nicht. Denn der moderne, durch Werbeverträge und Engagements in der Produktion von Filmen ohnehin sanierte und dank des Verschwindens der bis in die Sechziger noch üblichen Knebelverträge auch freier gewordene Superstar versteht sich nicht mehr nur als solcher, sondern vielmehr auch als Schauspieler – als jemand also, der spielt und nicht nur ist. Und das ist der zentrale Unterschied zu den (in ihrem Handlungsspielraum freilich noch eingeschränkten) Grössen nicht nur der goldenen Ära Hollywoods, sondern vor allem auch zu den bereits «befreiten» Kassenmagneten der Achtziger und mit Abstrichen noch der Neunziger.

Die neuen Marken

Wer waren denn damals die Gewinn generierenden Namen? Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, Bruce Willis etwa. Das waren keine Schauspieler, das waren Marken. Die konnte man aufbieten für irgendwas und hatte den Kinosaal schon rappelvoll. Die heutigen Marken jedoch sind die Figuren: Batman, Spider-Man, Superman, Iron Man, Was-auch-immer-Man. Es wäre die bare Geldverschwendung, einem Superstar das (noch) übliche Pauschalhonorar von 20 Millionen Dollar zu überweisen, nur um ihn in ein Latex-Heldenkostüm zu stecken und auf einen ohnehin schon funktionstüchtigen Goldesel zu setzen. Da tuts auch ein Brandon Routh (so heisst übrigens der letzte Superman-Darsteller). Zumal im Vergleich zu den Achtzigern gerade bei den Franchise-Figuren ein markanter Wandel stattgefunden hat: Rambo war noch aufs Engste mit dem Namen Stallone verbunden, der Terminator mit Schwarzenegger, Indiana Jones mit Harrison Ford; diese Figuren wurden von ihren Stars kreiert – der Star machte die Figur. Mittlerweile hat sich dieses Verhältnis umgekehrt: Die durch die jeweilige papierene Vorlage schon sattsam etablierten Franchise-Helden haben sich endgültig «selbständig» gemacht, sind vollauf «entpersonalisiert» und fast buchstäblich zur leeren Hülle geworden, die je nach Opportunität (und zur Verfügung stehendem Budget) gefüllt werden kann. Der Vorteil liegt natürlich ganz bei den Studios: Sie sind unabhängiger vom Star geworden, sie brauchen ihn nicht mehr zwingend.

Zum Wohle des Cineasten

Diese Tendenz ist freilich nicht nur auf das Genre der Comicverfilmung beschränkt. Selbst im Comedy-Fach etwa, wo der Name des Darstellers im Extremfall ja quasi die Art des Films definiert, ist es für die Stars nicht mehr so einfach wie früher. Die erfolgreichsten Komödien der letzten Zeit waren keine Ben-Stiller- oder Jim-Carrey-Streifen, sondern nebst einer Grosszahl von Animations- und Trickfilmen bescheiden besetzte Produktionen wie «Knocked Up» oder «Borat». Vielleicht als Konsequenz daraus suchen denn auch immer mehr «Funny Men» neue Herausforderungen im seriösen Fach. Herrgott, sogar ein Adam Sandler spielt mittlerweile ernsthafte Rollen – und überzeugt dabei vollauf. Hier nur von einer aus der Not geborenen Tugend zu sprechen, würde indes zu kurz greifen. Denn der moderne Filmstar ist eben auch selbstbewusster geworden; er lässt sich nicht mehr auf einen Typ reduzieren. Macht man sich die Sache ganz einfach und zieht die Oscars als Indikator heran, wird der Wandel der Ikone vom Star zum Schauspieler endgültig offenbar: Ein Tom Cruise – wiewohl nach wie vor oftmals belächelt – hat schon drei Oscar-Nominierung vorzuweisen; dasselbe gilt für Johnny Depp und Leonardo DiCaprio. Will Smith, derzeit der letzte sichere Box-Office-Wert, war schon zweimal vorgeschlagen, Brad Pitt immerhin einmal. George Clooney, Julia Roberts, Nicolas Cage, Nicole Kidman und Angelina Jolie haben schon ein Goldmännchen im Schrank stehen, Tom Hanks darf gar schon zwei solcher Staubfänger sein Eigen nennen. Den Zugpferden vergangener Tage ist derlei Ehre – oft in Form eines Dankbarkeitsgeschenks – allenfalls im Alter zuteilgeworden. Wenngleich die Oscars nicht als der cineastischen Weisheit letzter Schuss angesehen werden sollten, lässt sich aus dem doch recht stolzen diesbezüglichen Palmarès der neuerdings die Kassen vergiftenden aktuellen Hollywood-Grössen sicher auch ableiten, dass diese sich ungleich mehr als Artgenossen früherer Generationen um das «seriöse» und auch das politische Filmschaffen verdient gemacht haben. Anstatt einfach nur auf eigens für sie gefertigte Starvehikel aufzuspringen, scheinen sie vielmehr vom Ehrgeiz getrieben, grosses, den Test der Zeit überdauerndes Kino zu machen. Das nötigt Respekt und Applaus ab, kein Mitleid und schon gar keine Häme. Und wie es ausschaut, gedenken die Stars, auch in Zukunft etwas fürs cinephile Gemüt zu tun: Ein flüchtiger Blick auf die kommenden Projekte von Pitt, DiCaprio und Co. lässt nämlich das Herz des Filmliebhabers höher schlagen – und den Atem der Studio-Buchhalter wohl abermals stocken. Der Filmstar alter Prägung mag tot sein. Ein Schaden erwächst daraus wenigstens dem Publikum aber mitnichten. Und was die Karrieren der betreffenden Leute angeht, so darf eine uralte Weisheit schon heute für bare Münze genommen werden: Totgesagte leben länger.