Leidenschaft um jeden Preis

Mit dem ambitionierten, vor allem durch eine ausgeklügelte Optik zu gefallen wissenden Erotikthriller «In the Cut» wagt Regisseurin Jane Campion den Spagat zwischen Kunst- und Mainstream-Kino.

 

von Sandro Danilo Spadini

Eingefangen von einer rastlosen Kamera, bewegt sich eine Reihe von unfrohen Gestalten durch ein mehrheitlich düsteres oder von matten Farben beherrschtes Ambiente. Wenig pittoresk ist der Ort der Handlung, gesprächig ist das Personal, rau sind die Umgangsformen. «In the Cut», das neue Werk der neuseeländischen Starregisseurin Jane Campion («The Piano»), ist alles andere als ein gute Laune verbreitender Film zum Zurücklehnen. Dies vermag zwar angesichts der für die Inszenierung Verantwortlichen, die noch nie mit leichter Kost aufgewartet hat, keineswegs zu überraschen, umso mehr aber mit Blick auf die Hauptdarstellerin: Ausgerechnet die ansonsten so zugeknöpfte Meg Ryan, die Doris Day der Neuzeit, schlüpft in die seelische und körperliche Freizügigkeit verlangende Rolle der Englischprofessorin Frannie, die in einen grausamen Mordfall verwickelt wird und dabei in ein gewagtes sexuelles Abenteuer mit dem ungehobelten wie undurchsichtigen ermittelnden Polizisten (Mark Ruffalo) hineingezogen wird.

Auf zu neuen Ufern

Eine solch ausgefallene wie mutige Besetzung konnte natürlich nicht ohne entsprechendes Medienecho bleiben. Jane Campion zu unterstellen, ihre Protagonistin nachgerade spektakulär gegen den Strich besetzt zu haben, um von der mangelnden Qualität ihres erneut durchaus ambitionierten neusten Streichs abzulenken, wäre indes völlig verfehlt. Fakt ist jedoch, dass Ryans vermeintliche Wandlung zum verwegenen Vamp das Hauptinteresse auf sich gezogen hat, was wiederum durchaus in deren Sinn gewesen sein dürfte. Denn nach einer Reihe von Flops mit belanglosen Filmchen wie «Hanging up», «Proof of Life» und «Kate & Leopold» sowie ihrer medial auf eher unangenehme Weise ausgeschlachteten Trennung von Ehemann Dennis Quaid und der Affäre mit Kollege Russell Crowe war es für Ryan wieder einmal an der Zeit, anderweitig Schlagzeilen zu produzieren. Dass sie mit ihren inzwischen 42 Jahren nicht mehr ewig die Titelheldin in zuckersüssen romantischen Komödien wird geben können, scheint auch ihr klar gewesen zu sein. Ein Imagewechsel war folglich unausweichlich; «In the Cut» ist nun die erste Station auf dem gewiss nicht unbeschwerlichen Weg zur Charaktermimin, den zuletzt Nicole Kidman, die ursprünglich für Ryans Rolle vorgesehen war und nun als Produzentin verantwortlich zeichnet, erfolgreich beschritten hat. Wie schon vor ihr Holly Hunter in «The Piano» und Kate Winslet in «Holy Smoke» zeigt sich auch Ryan vor Campions Linse ungewohnt freizügig; den ganzen Aufruhr, der darob veranstaltet wurde, rechtfertigen die ein, zwei leidlich erotischen Szenen von «In the Cut» freilich nicht. Auch von einem wagemutigen Parforceritt kann nicht die Rede sein. Bloss weil die Rolle nicht ihrem Profil entspricht, qualifiziert sich Ryans Darbietung noch lange nicht zur hohen Schauspielkunst. Nicht mehr und nicht weniger als solide spielt sie diese Franny, wobei es in manchen Szenen fast so wirkt, als ob Campion nicht das rechte Zutrauen in Ryans Fähigkeiten gehabt hat.

Sperrig und wenig packend

Was «In the Cut» über die Besetzung hinaus von der Masse abhebt, ist die ausgeklügelte Optik. Farblich perfekt abgestimmt, hat Campion ihre Adaption des Romans von Susanna Moore äusserst stimmungsvoll in Szene gesetzt. Mit wackligen, verschwommenen Bildern und beinahe aufdringlichen Grossaufnahmen sucht sie den Taumel, die Verwirrung und die fatalistische Hingabe ihrer Figuren einzufangen, deren Schicksal einen letztlich gleichwohl kalt lässt. Denn was Campion auf formaler Ebene erreicht, bleibt ihr in Bezug auf den Inhalt insgesamt zu oft verwehrt; der Spagat zwischen anspruchsvollem Kunstkino und mitreissendem Erotikthriller gelingt ihr nur bedingt. Derweil die Kriminalhandlung über weite Strecken mit geradezu nachlässiger Beiläufigkeit verfolgt wird und erst zum Schluss ins Zentrum rückt, verheddern sich die Protagonisten in einem scheinbar nicht enden wollenden Gequassel über Sex und die Welt. Gar dialog- und kopflastig, bemüht und mühsam, gewollt und manieriert kommt «In the Cut» trotz einiger überaus bemerkenswerter Ansätze daher. Sperrig ist das und Kunst, aber ja doch, mitunter auch, nur allzu packend halt nicht.