Spannungen um den Meister der Spannung

Mit Anthony Hopkins in der Titelrolle beleuchtet «Hitchcock» die Seelenqualen, die der Jahrhundert-Regisseur bei seinem Risikoprojekt «Psycho» litt und anderen auferlegte.

 

von Sandro Danilo Spadini

Was veranlasst einen 60-Jährigen, der gemeinhin als Grösster seines Fachs gilt, Ruf, Hab und Gut noch mal aufs Spiel zu setzen? Wie Sacha Gervasis Spielfilm suggeriert, hat sich Alfred Hitchcock Ende der 50er-Jahre wohl einfach gelangweilt; und wie viele Genies, die sich langweilen, wurde auch der «Master of Suspense» darüber nicht nur ungeniessbar, sondern auch unberechenbar. Niedergeschlagen hat sich das freilich in einem Werk, das heute als sein einträglichstes, wohl berühmtestes und sicher nicht schlechtestes gilt: dem günstig gefertigten «Psycho», in dem Hitchcock fast alles machte, was Hollywood verboten hatte. Ein rundes Jahr vor dessen Erscheinen setzt nun der prosaisch «Hitchcock» betitelte Film ein. Es ist die Premiere von «North by Northwest», mit der Gervasi und «Black Swan»-Drehbuchautor John J. McLaughlin eröffnen, und abermals liegen dem Meister die Massen zu Füssen. Doch dem entlockt das nur mehr ein Gähnen; er will mal was anderes machen und es allen zeigen: den elenden Kritikern und der vermaledeiten Academy. Er will, wie er Jahre später Kollege François Truffaut anvertrauen sollte, «einen wichtigen Film» machen.

Und auch noch die Eifersucht

Was Hitchcock dann an die Hand nimmt, ist ein enormes Wagnis und mitnichten dazu angetan, die Filmsnobs zu bezirzen: «Psycho» ist ein zweitklassiger Roman, der auf einem wahren Fall beruht und dessen Ingredienzien Unverdauliches wie Inzest, Nekrophilie und Transvestitismus sind. Niemand in Hollywood ist gewillt, solch schauderhaften B-Horror auf die Leinwand zu bringen. Doch der Dicke bleibt stur. «Mein nächster Film ist ‹Psycho›», verkündet er mantraartig. Wie entschlossen er ist, kriegt auch seine Gattin Alma Reville (Helen Mirren) zu spüren. Sie solle den Swimmingpool geniessen, solange sie noch könne, raunt «Hitch» vom Beckenrand; er habe nämlich eine Hypothek aufs Haus in Bel Air aufgenommen, um «Psycho» solo zu finanzieren. Alma freilich kann solches nicht schocken. Ebenso wenig, wie sie die Obsession ihres Mannes mit seinen Blondinen aus der Fassung bringen mag – selbst wenn sie so verführerisch sind wie «Psycho»-Star Janet Leigh (Scarlett Johansson). Dass es in dieser Hinsicht kurz später beim Dreh von «The Birds» und «Marnie» sehr wohl brenzlig wurde und Hitchcock seine Hauptdarstellerin Tippi Hedren fast massakrierte mit seinem Liebeswahn, ist eine andere Geschichte; sie wurde eben erst im TV-Film «The Girl» auf ziemlich beunruhigende Weise erzählt. Hier nun indes ist es «Hitch», der eifersüchtelt. Denn als wären all der Stress und die Streitereien am Set, im Studio und im Zensurbüro, all das künstlerische und kommerzielle Risiko nicht schon kräftezehrend und nervenzerrend genug: Nun scheint auch noch die grosse Konstante in seinem Leben ins Wanken zu geraten. Für «Hitch» jedenfalls schmiegt sich seine Alma allzu eng an den «Strangers on a Train»-Schreiberling Whitfield Cook (Danny Huston) an.  

Hopkins verleibt sich Hitchcock ein

«Hitchcock» ist also nicht nur ein bei allen Spannungen augenzwinkernder Blick hinter die Kulissen der Filmgeschichte, der Cineasten manch wissendes Lächeln entlockt; Gervasis sonnendurchflutetes Spielfilmdebüt ist auch ein psychologisch nicht übermässig ambitioniertes Schielen auf eine komplexe Persönlichkeit und deren kompliziertes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. Dass Gervasi dabei Mirren und damit Reville erhebliche Leinwandzeit und auch Szenen ohne Hopkins’ Hitchcock gönnt, ist ein kleiner Coup – zumal er die als Beraterin und Drehbuchdoktorin ungemein wichtige Gefährtin so aus dem breiten Schatten ihres Mannes holt, in dem sie zeitlebens still und loyal verharrte. Der Schatten, den Anthony Hopkins hier wirft, ist freilich auch nicht klein, wenn er Hitchcock zwischen jovialem Bonmot-Jongleur und morbidem Psychospieler interpretiert. Wie in der Präsidentenbiografie «Nixon» versteht es der 75-Jährige hier, sich eine historische Figur einzuverleiben und ihr auch mangels optischer Ähnlichkeit seine eigene Version überzustülpen. Und das ist nur angemessen für ein flüssiges Stück Unterhaltung, das seine Sicht der Dinge nie als buchstabengetreue Filmgeschichtslektion andient.