Wenn der Sohne mit dem Vater…

In seinem vor Menschlichkeit sprühenden und vor Wortwitz sprudelnden Schwarzweiss-Wunderwerk «Nebraska» macht Regisseur Alexander Payne das, was er am besten kann.

 

von Sandro Danilo Spadini

Verlust als Ausgangspunkt einer Odyssee – das ist das zentrale Motiv in den eigentlich so luftigen und leichten, den so herzlichen und menschlichen Werken des 52-jährigen Autorenfilmers Alexander Payne: Jack Nicholson verlor in «About Schmidt» seine Gattin und machte sich per Wohnmobil von Omaha auf nach Denver; Paul Giamatti wurde in «Sideways» von seiner Frau verlassen und ging mit seinem Kumpel Jack auf die Reise von San Diego ins Santa Barbara Wine County; George Clooney schliesslich hatte in «The Descendants» eine untreue Frau im Koma und fuhr mit seinen Töchtern von Honolulu in die Ferien nach Kauai. Nichts verloren, sondern im Gegenteil etwas gewonnen hat hingegen Woody Grant, der von Cannes-Gewinner Bruce Dern gespielte Held in Paynes neustem Streich «Nebraska». Das zumindest glaubt er, als er sich zu Fuss bei winterlicher Kälte von Billings, Montana, auf den Weg macht nach Lincoln, Nebraska, «um meine Million Dollar zu holen». Und er glaubt es auch noch, als er auf der Polizeiwache von seinem Sohn David (Will Forte) erklärt bekommt, dass er nur einem Werbetrick aufgesessen sei. Die Gattin daheim (June Squibb) meint dazu bloss: «Ich wusste gar nicht, dass der Scheisskerl Millionär sein will.» Derweil David das Gefühl hat, «dass der Mann nur ein Lebensziel braucht». Und so zögert er, der, jawohl, just von der Freundin verlassen wurde, nicht lange, meldet sich krank, packt die Koffer und holt Papa. Unter Mamas Flüchen gehts dann im Subaru auf Tour wie einst bei Miles und Jack; nur sind es nicht die Weinberge unter der Sonne Kaliforniens, die durchquert werden, sondern die rauen Badlands von Wyoming, die Bruce Springsteen einst besungen hat. Und das in einem Tempo, das Bruce Dern Zeit genug lässt, seinen Fernsehpart aus «Big Love» aufzunehmen und ihn zur Rolle seines 77-jährigen Lebens auszubauen.  

Reise zum Ich

Letztlich geht es also auch in «Nebraska» um Verlust: den Verlust des Verstands, auf den Woody, dieser alte Trunkenbold, schon seit je hingewirkt hat. Zur Krankengeschichte mag Alexander Payne seinen schwarzweissen Sechstling aber nicht verkümmern lassen. Viel lieber blickt er inmitten der kahlen Landschaft des Mittleren Westens auf das, was es auf dieser neusten Reise zweier abermalig Suchender zu gewinnen gibt. Und das ist wie stets bei Payne vor allem eines: Erkenntnis. Und deshalb ist auch dies, wie in «About Schmidt», in «Sideways», in «The Descendants», zuallererst wieder eine Reise zu sich selbst. Es ist ein Nachhausekommen und eine Rückkehr zu den Wurzeln, die immer über die Familie führt: Was Beulen hatte, aus den Fugen geriet, zu Tode geschwiegen wurde, wird geradegebogen, zurechtgerückt, auseinandergelegt.

Daheim auf Spurensuche

Wortgewalt bedarf es dazu freilich nicht, wie Payne, dieser «Woody Allen Nebraskas», im Hauptteil seines zutiefst sympathischen und immer wieder hochkomischen Juwels klarmacht. Dieser spielt in der Kleinstadt Hawthorne, Woodys Heimatort, wo die Krise auch das letzte bisschen Leben abgewürgt hat, die Strassen menschenleer, die Läden geschlossen sind. Und wie das Land, so die Leute: Es haust dort ein stoisches Völklein, dessen «Männer den ganzen Tag Schweinhintern anschauen und früh zu trinken beginnen – weil es sonst ja nichts zu tun gibt». Viel zu reden haben denn auch Woody und seine Verwandtschaft nicht beim Wiedersehen. Man starrt einfach in die Glotze, und wenn einer mal was sagt, dann gehts um Autos. So lange jedenfalls, bis sich der «Millionengewinn» herumgesprochen hat. Jetzt sind alle plötzlich recht gesprächig und kreisen wie die Geier um Woody und das Geld, das er nicht hat. Gleichzeitig wird es bisweilen beinahe besinnlich, wiewohl auch noch die Mutter mit dem grandios losen Mundwerk und der ältere Bruder (Bob Odenkirk) in dem Kaff aufschlagen. Während der ortskundige Payne dieses entspannt Zentimeter um Zentimeter vermisst, wird ohne einen Tropfen bösen Bluts in der Vergangenheit gekramt, werden die alten Kamellen aufgetischt, die Räuberpistolen gezückt. So bekommt David langsam, aber endlich eine Ahnung, wer dieser Vogel von einem Vater denn sein könnte. Und was er dabei gewinnt, ist vielleicht nicht eine Million Dollar – aber unbezahlbar.