Menschen im Hotel Multikulti

In «Dirty Pretty Things» wirft Regisseur Stephen Frears einen kritischen und unsentimentalen Blick auf das London der Immigranten und strickt gleichzeitig an einer spannenden Kriminalhandlung.

 

von Sandro Danilo Spadini

London ist der Schauplatz von Stephen Frears’ neuem Film. Nicht das London der Touristen mit Piccadilly Circus und Oxford Street und auch nicht das London der Engländer – weder das von Nick Hornby mit seiner Musik- und Fussballszene noch das von Mike Leigh mit seinen leidgeprüften Arbeiterfamilien. «Dirty Pretty Things» zeigt das London der Immigranten, das andere London, das Frears bereits in «My Beautiful Laundrette» geschildert hat. Engländer verkehren hier kaum, kommen in der Geschichte bloss am Rande vor. Beinahe schon deplatziert wirkt es da, wenn einmal in einem Büro kurz ein Wimpel der Tottenham Hotspurs zu sehen ist: ein Zeuge einer Welt, die Frears’ Protagonisten nie zur Heimat geworden ist, ein Zeichen der Integration, die im unbarmherzigen Moloch London nie stattgefunden hat, gleichsam ein Eindringling in eine mehr schlecht als recht über die Runden kommende multikulturelle Gemeinschaft, wo sich Hierarchien und Machtpositionen herausgebildet haben, die bisweilen schonungslos und in Menschen verachtender Weise missbraucht werden.

Ein Herz auf der Hoteltoilette

Der nigerianische Arzt Okwe (Chiwetel Ejiofor) steht am untersten Ende der sozialen Rangordnung, arbeitet schwarz als Taxifahrer und Hotelnachtportier. Mit seiner türkischen Arbeitskollegin Senay (Audrey «Amélie» Tautou), die sich im Gegensatz zu ihm zwar legal, aber auch ohne Arbeitsbewilligung in London aufhält, teilt er sich eine Wohnung. Arbeitgeber der beiden ist der schmierige, halbseidene Hotelgeschäftsführer Sneaky (Sergi López), dessen Verwicklung in dunkle Geschäfte die Kriminalhandlung von «Dirty Pretty Things» in Gang setzt: Bei der Reinigung einer Toilette stösst Okwe auf ein menschliches Herz, das ihn auf die Spur eines Organhändlerrings bringt, einer Gruppe skrupelloser Geschäftemacher, die für ihn und Senay paradoxerweise zur goldenen Rettung auf ihrer Flucht vor der Fremdenpolizei werden könnten. Mit Hilfe des jovialen russischen Türstehers Ivan (Zlatko Buric), der bauernschlauen Hure Juliette (eine Entdeckung: Sophie Okonedo) und des philosophierenden Leichenschauhausaufsehers Guo Yi (Benedict Wong) – einer Reihe von Figuren vom Reissbrett – suchen Okwe und Senay nach einem Ausweg aus ihrem Dilemma.

Starke Inszenierung, schwache Figuren

Geschrieben wurde «Dirty Pretty Things» von Debütant Steven Knight, einem Miterfinder der TV-Show «Wer wird Millionär?», Regie führte mit Stephen Frears ein Altmeister, der bereits für Hits wie «Dangerous Liaisons» oder «High Fidelity» verantwortlich zeichnete. Seine um Realismus bemühte, eine kunstvolle Optik aber dennoch im Blick behaltende und vorwiegend in düsteren Bildern gehaltene Inszenierung besticht insbesondere durch ein exzellentes Timing, das dem Thriller-Element des Films das richtige Mass an Dynamik verleiht, sowie eine gewisse Besonnenheit hinsichtlich des tragischen Aspekts seiner Geschichte, die, dann und wann gepaart mit einem wohlproportionierten Schuss Ironie, ein Abdriften in Sozialkitsch verhindert. Sein Blick auf soziale Missstände ist zwar ebenso kritisch, aber weniger anklagend als etwa jener seiner Landsmänner Mike Leigh und Ken Loach. Klassenkämpferische Kommentare gelangen – auch aufgrund des Fehlens von englischem Personal – eher implizit zur Diskussion, gehen aber im konstant hohen Spannungsbogen keineswegs unter. Einzig bei der Figurenzeichnung, wo eine Tendenz zur Klischierung und Reduzierung nicht nur bei den Nebenfiguren dem ansonsten ausgezeichneten Drehbuch etwas die Frische und Originalität raubt, versagt Frears’ Gespür. Die allzu scharf gezogene Grenze zwischen Gut und Böse, das Eindimensionale, die Reduzierung auf eine Charaktereigenschaft bewirkt eine dem Bemühen um Realismus zuwiderlaufende Überzeichnung, wenngleich in Ejiofors, Tautous und López’ mit höchster Präzision, aber eben ohne Sinn für Nuancierung ausgestaltetem Spiel Okwes Integrität, Senays Naivität und Sneakys Arroganz perfekt gespiegelt werden. Für die Klasse von «Dirty Pretty Things» spricht aber, dass dies das Gesamtgefüge nicht aus dem Gleichgewicht bringt und lediglich eine unerfreuliche Fussnote bleibt unter einem ansonsten packenden, ungewöhnlichen, beklemmenden und intelligenten Film.