Als Freddie ein Loch in den Himmel riss

Bombastische Show, furioser Star, alle Hits: Das Queen-Biopic «Bohemian Rhapsody» ist trotz holpriger Entstehung geschmeidig und gefällig – dürfte aber ein wenig verwegener sein.

Warner Bros.

Von Sandro Danilo Spadini

Im Hintergrund läuft «Somebody to Love». Und im Vordergrund – schon jetzt die Leinwand füllend, ausfüllend, erfüllend – steht und tänzelt und gockelt einer, dessen Gesicht man zwar nie sieht, als er sich parat macht für die Show, sich aufbrezelt, den Schnäuzer stutzt, die Katzen streichelt; bei dem es aber trotzdem keinen Zweifel gibt, wer das ist. Die grosse Frage, um die «Bohemian Rhapsody» in den nächsten 135 Minuten kreist, wird freilich sein: Weiss auch er, wer er ist? Und also gehts nach dieser ziemlich grossartigen Auftaktsequenz zunächst einmal zurück, und zwar – wie es sich für ein Biopic der traditionellen Sorte geziemt – an den Anfang. London, 1970, Flughafen Heathrow: Hier arbeitet der «Paki», der eigentlich aus Sansibar stammt; aber hier ist Freddie, der eigentlich Farrokh heisst, nie angekommen. Die Leidenschaft des Mittzwanzigers, das ist die Musik. Noch aber hört natürlich nur er die Fans jubeln. Sein Vater sähe es lieber, er würde wieder boxen, wie damals daheim. Und als Freddie sich beim Astrophysikstudenten Brian und dem angehenden Dentalhygieniker Roger als Frontmann ihrer Amateurband bewirbt, meinen die nur: «nicht mit diesen Zähnen». Aber dann hören sie ihn singen, mit dieser Stimme, die Tote zum Leben erwecken und einen die Faust gen Himmel recken lässt, und es ward geboren einer der Grossartigsten, die je die Musikwelt gerockt haben: Ladies and gentlemen, please welcome… Mister Freddie Mercury!

Unverschämter als der Rest

Die Geburt dieses Films über die Jahrhundert-Band Queen – und das ist das offiziell, wiewohl dann doch nur Freddie interessiert – ging derweil nicht ganz so fix vonstatten; sie war gelinde gesagt eine schwierige und dauerte von der Ankündigung bis zur Premiere ganze acht Jahre: Am Anfang überwarf man sich mit dem designierten Hauptdarsteller Sacha Baron Cohen, und am Ende – zwei Wochen vor Drehschluss – feuerte man den skandalumwitterten Regisseur Bryan Singer wegen «erratischen Verhaltens» und ersetzte ihn durch Dexter Fletcher. Umso erstaunlicher ist es, wie geschmeidig und gefällig der von der Band begleitete und abgesegnete Streifen nun abläuft – oder wie manche nölen: hollywoodhaft sein Programm runterkurbelt. «Wir müssen experimenteller werden», sagt Brian May (Gwilym Lee) einmal, und in der Tat denkt man sich bisweilen: Wäre vielleicht noch neckisch gewesen, wenn sich das die Filmemacher ebenfalls vorgenommen hätten. So aber ist es eine doch recht glatte und mitunter glattgebügelte Sache geworden: eingängig wie die meisten Queen-Songs, aber ohne deren Extravaganzen. Sprich: Ein bisschen mehr Lametta hätte sein dürfen. Und vor allem: Ein wenig verwegener hätte man das Leben von einem schon schildern können, der von sich hier sagt: «Ich bin unverschämter als alle anderen.» Auch als Freddies zwischenzeitliche Verlobte Mary Austin (Lucy Boynton) meint: «Alle sollten mehr riskieren»; als Freddie raunt: «Gib mir mehr Rock ’n’ Roll»; und als Brian findet: «Formeln sind Zeitverschwendung», nuschelt man: ja, ja und ja. Dass das am Ende aber alles recht egal ist und der von Biopic-Spezialist Peter Morgan («The Queen») mitverfasste Film absolut keine Zeitverschwendung ist, hat genau zwei Gründe: den furiosen Hauptdarsteller Rami Malek («Mr. Robot»), der nicht nur auf der Bühne eine Wucht ist, sondern auch dann, wenn Freddie endlich zu sich selbst findet, nur um sich wieder zu verirren. Und die bombastischen, sämtliche Hits servierenden Bühnenshows, die hier abgezogen werden – mit der Kulmination am Live-Aid-Konzert im Wembley am 13. Juli 1985, als Queen ihren monumentalsten Livemoment hatten und wie von Freddie angekündigt «ein Loch in den Himmel rissen».

Er wollte kein Opfer sein

Nebst der keuschen Konformität gibt es freilich noch einen zweiten Hauptkritikpunkt hier: dass das Thema Aids zu wenig behandelt werde. So schliesst der Film mit Live Aid und also einem vitalen Freddie sechs Jahre vor dessen Tod, kurz nachdem er von seiner Infizierung erfahren hat (was, wie man liest, eine Faktenschummelei zur dramaturgischen Verdichtung sei). Man kann das aber auch so sehen: Vor der Öffentlichkeit hielt Freddie seine Erkrankung bis zum Schluss geheim; er wollte nicht als Poster-Boy der Aids-Prävention dienen, als Opfer gelten. Wenn der Film seine Krankengeschichte ausspart, respektiert er gewissermassen diesen Wunsch. Und am Ende ahnt man ja trotzdem, wer Freddie Mercury vielleicht gewesen sein könnte. «Ich bin genau die Person, die ich immer sein sollte», sagt er einmal. Das genügt. Denn in diesem Moment ist man dann einfach nur froh für ihn.