Oink, oink, der Kommissar geht um

Schweinischer Bulle: Das 15 Jahre alte Kultbuch «Filth» des schottischen Extremautors Irvine Welsh liegt nun auch als Film vor. Er wirkt bei aller Klasse ein bisschen gestrig.

 

von Sandro Danilo Spadini

Man hat noch kaum Pfui Teufel gesagt, da hat dieser Bruce Robertson schon geklaut und gekokst, eine schwulenfeindliche Obszönität an die Klowand gekritzelt und in der Kaderbesprechung einen fahren lassen, sich geprügelt und besoffen, eine 15-jährige Informantin zum Oralsex gezwungen und die Frau des Kollegen gebumst. Und man hat da, in diesem sehr frühen Stadium der Verfilmung von Irvine Welshs Kultroman «Filth», schon kapiert, warum ihn sein skandalöser Schöpfer «Drecksau» getauft hat. Bestens verstehen kann man auch bereits die Beschreibung dieses «Bullenschweins» durch Regisseur Jon S. Baird: als eine Mischung aus Jack Nicholson in «One Flew Over the Cuckoo’s Nest» und Malcolm McDowell in «A Clockwork Orange». Noch nicht wirklich klar ist derweil, ob man sich auch wirklich die vollen 97 Minuten dieser offenbar vor Ekel triefenden Romanadaption antun sollte.

Überragender McAvoy

Man sollte durchaus, lässt sich dann einiges später auch diese Frage beantworten. Denn zum einen ist das am Ende gar nicht so arg wie zunächst zu befürchten stand; und zum anderen schlummert in «Filth» oder eben «Drecksau» unter dem ganzen vulgären Schmutz einiges an Klasse. So hat man etwa den schottischen Lausbub James McAvoy nie besser gesehen als in der Rolle des intriganten, misanthropischen, rassistischen, sexbesessenen, schlicht schweinischen Edinburgher Detective Sergeant Bruce «Robbo» Robertson. Und das ist doch eher zum Staunen. Schliesslich ist der so liebenswürdige Kerl aus «The Last King of Scotland» jetzt nicht gerade der Erste, der einem für die Besetzung dieser unappetitlichen Rolle des passionierten Demütigers einfiele; und der «Bad Boy» wollte ihm jüngst in «Welcome to the Punch» schon mal nicht so recht in Fleisch und Blut übergehen. Ganz anders hier. Wie er früh diese enormen Abgründe sichtbar macht und wie er mit der Zeit durchschimmern lässt, dass es einen Grund gibt, wieso Robbo so ist, wie er ist: Das ist fesselnd, einnehmend, beeindruckend. Und wie vehement er die Selbstzerstörung seiner Figur voran- und schliesslich auf die Spitze treibt, ist zusehends überlebenswichtig für den Film. Zumal dieser dem zwar ekelerregenden, aber kraftstrotzenden Start immer weniger Substanzielles hinzuzufügen weiss: Die Ermittlungen zu einem rassistisch motivierten Mord treten bald einmal auf der Stelle und in den Hintergrund; und die dreckigen Spielchen, die Robbo mit seiner Konkurrenz im Kampf um die heiss herbeigesehnte Beförderung treibt, scheinen Regisseur und Drehbuchautor Baird irgendwann auch nicht mehr sonderlich zu interessieren. Stattdessen verliert er sich vermehrt im angestrengt Schwarzhumorigen und Tiefschürfenden und fokussiert auf Robbos stetes Schikanieren und Terrorisieren seines Freundes Bladesey (ebenfalls stark: Eddie Marsan). Das zeigt seinen «Bad Lieutenant» zwar abermals eindrücklich in seiner ganzen nihilistischen Abscheulichkeit; vieles ist dabei aber auch Selbstzweck und dient lediglich dem profanen Ziel, noch einmal einen draufzusetzen.

Der Geist von «Trainspotting»

Was der Film dabei über McAvoys Spiel hinaus verpasst zu vermitteln und ihn gegenüber der Vorlage ins Hintertreffen geraten lässt, ist der Schwindel der schneller und schneller drehenden Abwärtsspirale. Im Buch hatte sich Welsh dazu eines so seltsamen wie wirkungsvollen Stilmittels bedient: eines Bandwurms, der nicht nur in Robbos Verdauungstrakt, sondern auch typologisch auf den Seiten heranwächst und allmählich als zweiter Icherzähler fungiert. Etwas ähnlich Einfallsreiches sucht man bei Baird («Hooligans») vergebens – und die körperlichen Beschwerden Robbos hat er ohnehin eliminiert zugunsten einer psychischen Störung, deren sich der hier halbwegs einsichtige Antiheld auch bewusst ist: «Mit mir stimmt etwas ganz gewaltig nicht», lässt er zwischen all den halluzinogen, surrealen und bizarren Einsprengseln der Schlussphase denn auch endlich verlauten. Das ist dann wieder das, was einem von einer anderen Welsh-Adaption noch allzu vertraut ist: vom drogenumnebelten Klassiker «Trainspotting», dessen etwas gestriger Geist ohnehin schon die ganze Zeit durch diese gut anderthalb Jahrzehnte lang erwartete Verfilmung wehte.