Filmverrückter Tausendsassa

Seit über zehn Jahren brettert Quentin Tarantino den staubigen und blutgetränkten Pfad zwischen Mainstream und Independent runter und kommt dabei regelmässig als Erster ins Ziel.

 

Von Sandro Danilo Spadini

Zynischer Menschenverachter. Aufgeblasener Einfallspinsel. Infantiler Rohling. Schamloser Plagiator. Überschätzter Pseudokünstler. Will man Quentin Tarantino Böses – und genau das will die zwar stetig kleiner werdende, aber noch immer schiesswütige Schar seiner Gegner –, dann sprudeln die Beleidigungen aus einem heraus wie das Blut aus einem der von Uma Thurman in «Kill Bill» verstümmelten Körper. Ereifert man sich dann auch noch über seine, wie man hört, nicht eben umgängliche Art, fallen einem sicherlich auch noch ein paar von jenen nicht druckreifen Verbalinjurien ein, wie sie der gemeine Tarantino-Held schon vor dem Frühstück zu raunen versteht. Hätten diese Giftpfeile, mit denen Tarantino im Laufe der Zeit beschossen worden ist, indes wirklich ins Schwarze getroffen, läge der anderweitig als Genie gefeierte Wahnsinnige längst wie seine «Reservoir Dogs» durchsiebt an einem Strassenrand von Hollywood. Und deshalb kann es letztlich nur eine schlüssige Adjektiv-Substantiv-Kombination geben, die dem 42-Jährigen gerecht wird: grosser Regisseur.

Inspiriertes Wunderkind

Dass die Schmährufe auch in all den mittlerweile von Fans und Presse aus Leibeskräften gesungenen Jubelarien nicht untergehen wollen, liegt freilich daran, dass obgenannten Giftpfeilen wenigstens Spurenelemente eines in Teufels Küche gebrauten Wahrheitsserums anhaften. Allzu viel Liebe lässt der etwas gar von sich überzeugte, nicht übermässig reif wirkende Maestro seinen Figuren halt schon nicht zukommen; dafür finden sich am Gewand des filmverrückten Tausendsassas, der fünf Jahre in einem Videoladen in Manhattan Beach gearbeitet hat, zweifelsohne zahlreiche fremde Federn. Der grosse Revoluzzer, als der er von seinen feurigsten Anhänger gerne gesehen wird, ist er hingegen dann wohl eher doch nicht. Denn der Einfluss des asiatischen Rabauken-Kinos, der sich einem erst bei den beiden «Kill Bill»-Abenteuern mit Brachialgewalt in die Augen bohrte, wirkte auf Tarantino schon immer bewusstseinserweiternd; so war etwa «Reservoir Dogs», mit dem das Wunderkind 1992 das Licht der Kinosäle erblickte, über weite Strecken im Grunde nichts weiter als ein – notabene nicht als solches deklariertes – Remake des japanischen Reissers «City on Fire». Dass Tarantino auf der Suche nach Motiven, Stoffen und Formen auch westliche Kinolandschaften abgegrast hat, ist aber ebenso unstrittig, sind dort doch die mit ihm assoziierten Stilmittel – etwa die «Ästhetisierung der Gewalt», die Spielereien mit der Erzählstruktur oder der Popkultur – auch im Zeitalter vor Quentin hinreichend dokumentiert.

Bei den Filmgöttern

Tarantino aber als blossen Sammler oder Archivar des Pop abzutun, wäre gleichwohl verfehlt. Mainstream und Independent vereinend, wandert oder – treffender – rast er zwar auf einem schmalen Grat zwischen Zitat und Plagiat; in den Abgrund gestürzt ist er bislang aber nur bei seinen eher peinlichen schauspielerischen Versuchen – wie etwa in dem von Kumpel Robert Rodriguez nach einem Tarantino-Drehbuch inszenierten Trash-Schocker «From Dusk Till Dawn». Dank überlebensgrossem Selbstbewusstsein, überschäumender Kreativität und überragendem handwerklichem Geschick zeichnet sich sein Œuvre paradoxerweise durch eine Originalität aus, die im heutigen Kinoschaffen ihres Gleichen sucht. Und so ist es denn auch zu erklären, dass Tarantino eine, wirklich nur eine Etage tiefer als Leute wie Hitchcock, Kubrick, Leone, Scorsese oder Lynch, seine geistigen Väter und Vetter, Obdach gefunden hat. Aufgestiegen in den Kino-Olymp ist er, der so kritisch beäugte Parvenü, freilich bereits 1994 mit dem Jahrhundertwerk «Pulp Fiction» – zu einem Zeitpunkt, wo in seiner Vita nebst «Reservoir Dogs» erst das Drehbuch zu Tony Scotts «True Romance» und die Story zu Oliver Stones «Natural Born Killers» verzeichnet waren; einstweilen verlängert wurde sein Aufenthalt bei den Filmgöttern dann drei Jahre später dank «Jackie Brown», nachdem er seinen unspektakulären Beitrag zum mässig gelungenen Episodenfilm «Four Rooms» geleistet hatte. Seit dem zweiteiligen Opus magnum «Kill Bill» darf Tarantino sich schliesslich Dauerresident des Olymps nennen. Auf Lebzeiten und darüber hinaus. Ob es seinen Gegner nun passt oder nicht.