Das Ende eines amerikanischen Traums

Robert Bentons Leinwandadaption von Philip Roths Meisterwerk «The Human Stain» konzentriert sich ganz auf seine mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman schillernd besetzten Hauptfiguren.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist die Zeit, in der in den USA die Heuchlerei, die Bigotterie endgültig die Oberhand gewinnen und ein grotesk irrationaler Sturm der Entrüstung über das Land fegt. Es ist die Zeit, in der über Praktikantinnen, Zigarren und die Definition von Sex diskutiert wird. Es ist die Zeit, in der aus Bill Willie und aus dem Oval Office das Oral Office wird. Es ist 1998, und dem 71-jährigen ehemaligen Literaturprofessor Coleman Silk wird in einem von Kleingeistern bevölkerten Kaff in Neuengland wegen seiner Affäre mit einer nicht einmal halb so alten Putzfrau erneut der Prozess gemacht, nachdem er zwei Jahre zuvor wegen einer vermeintlich rassistischen Bemerkung in einem kollektiven Rausch von stumpfsinniger Political Correctness seines Amtes enthoben worden ist und kurz darauf seine Frau verloren hat. Coleman Silk also, der brillante Intellektuelle, der ehemalige Amateurboxer, dessen Leben auf einer absurden Lüge beruht.

Zu wenig Kühnheit

Erzählt wurde die Geschichte des Coleman Silk, diese leidenschaftliche Anklage gegen die amerikanische Doppelmoral, diese verwegene Auseinandersetzung mit der Rassenfrage, von Philip Roth im Roman «The Human Stain» (Der menschliche Makel), und erzählt wurde diese Geschichte derart meisterhaft, dass sich die Kritiker vor rund drei Jahren in seltener Einmütigkeit zu einer ehrfurchtsvollen Laudatio auf den inzwischen 70-jährigen Altmeister zusammenfanden, die selbst den Hollywood-Bossen zu Ohren kommen musste. Wenngleich eine filmische Umsetzung des nicht zuletzt von seiner sprachlichen Raffinesse, seiner komplexen, von gleichsam fieberhaft-unvermittelten Perspektivwechseln geprägten narrativen Struktur lebenden Stoffs nicht zwingend opportun schien, hat sich Regieroutinier Robert Benton («Kramer vs. Kramer») angeschickt, das virtuos verwobene Konstrukt zu entwirren, um daraus weniger ein Destillat oder Konzentrat zu gewinnen, sondern vielmehr sich einzelnen Komponenten zu bedienen, die er zu einer zwar fundierten, bisweilen aber auch gar langatmigen und allzu dialoglastigen Charakterstudie zusammenfügte. Benton, der zuletzt 1998 mit dem gemütlich-altmodischen Krimi «Twilight» den erst neunten Film seiner rund 30-jährigen Karriere ins Kino brachte, hat gar nicht erst versucht, der Brillanz und Komplexität der Vorlage gerecht zu werden; er ist dieser vermessenen, ja anmassenden Versuchung nicht erlegen, könnte man sagen – um sich gleichzeitig aber zu fragen, was ein etwas mutiger, ein etwas kühnerer Regisseur wohl zu Stande gebracht hätte. Denn seinem Film mangelt es nicht bloss an der schroffen, unverblümten Direktheit von Roths Roman, die zugunsten eines äusserst ruhigen, mitunter zu betulichen Erzählstils aufgegeben wird, es mangelt ihm stellenweise nicht bloss am sozialkritischen Moment, an den raffinierten Verknüpfungen, es mangelt ihm vor allem an der Leidenschaft. Letztlich zu kühl, zu blutleer, zu zahm und zu schlicht ist das alles, als dass die Figuren einen für sich einnehmen könnten.
 
Hopkins und Kidman

Bentons beinahe vollständig auf die Figuren fokussierende Version von «The Human Stain» ist aber natürlich eine überaus geeignete Profilierungsplattform für das schauspielende Personal, namentlich für Anthony Hopkins und Nicole Kidman. Hopkins spielt diesen Coleman Silk mit der seelenruhigen Souveränität des alternden Ausnahmekönners, dem mittlerweile allerdings ein wenig der Enthusiasmus abzugehen scheint, der ihm in seiner besten Zeit in den Neunzigern – als pflichtbeflissener Butler in James Ivorys warmherzigem Drama «The Remains of the Day», als von Dämonen getriebener US-Präsident in Oliver Stones unterschätztem Meisterwerk «Nixon» und natürlich als von jeglichem Anflug der Selbstparodie noch freier Hannibal Lecter – seinen glänzenden Ruf eingebracht hat. Kidman hingegen, die für Benton bereits 1991 im Flop «Billy Bathgate» vor der Kamera stand, beweist erneut ihre Wandlungsfähigkeit und ihren Mut, auch in optisch weniger vorteilhafte Rolle zu schlüpfen. Doch selbst Nicole die (wahrhaft) Grosse kann nichts daran ändern, dass mit «The Human Stain» ein weiteres Mal aus einem meisterhaften Roman ein bloss ordentlicher Film entstanden ist.