von Sandro Danilo Spadini
Ob es an der einschüchternden Genialität von Richard Wagners Musikdrama lag, dass mit «Tristan + Isolde» einer der klassischsten Literaturstoffe erst jetzt den Weg auf die Leinwand gefunden hat? Eigentlich
unwahrscheinlich, hat doch Hollywood selten Skrupel gezeigt und das Mittelalter auch schon längst für sich entdeckt. Tony und Ridley Scott hielten es jedenfalls an der Zeit, diese
kinematografische Lücke zu schliessen und den auf Klassisches quasi abonnierten Regisseur Kevin Reynolds («Robin Hood») zu beauftragen, sich des mittelalterlichen «Romeo + Julia»-Vorgängers um
eine unmögliche, dem Untergang geweihte und schliesslich untergehende Liebe anzunehmen. Selbstredend bedurfte das über 1000-jährige, schriftliterarisch ab 1150 belegte Epos inselkeltischen
Ursprungs einiger Justierungen, die dem Mediävisten die spärlichen Haare zu Berge stehen lassen, die das Werk aber einem zeitgenössischen (Kino-)Publikum zugänglicher machen dürften. Eingedenk
des stoffgeschichtlichen Hintergrunds – auch Gottfried von Strassburg hat in seiner meisterhaften mittelhochdeutschen Fassung bei aller inhaltlichen Treue zur (französischen) Vorlage
Akzente verschoben – ein durchaus legitimes Unterfangen.
Realistischer Anstrich
Es ist überdies schlechterdings unmöglich, mit filmischen Mitteln dem komplexen und voluminösen Erzählgefüge der Geschichte zur Gänze gerecht zu werden. Und da auch wirtschaftliche Aspekte bei
einer Produktion dieser Art eine Rolle spielen, entschied man sich, die kriegerischen Dispute in den Fokus zu rücken und mittels gut dosierter Schlachtszenen und der Muskelspiele roher Recken,
derber Degen und knorriger Kämpen auch das Blockbuster-Publikum abzuholen. Dass dies in den USA misslungen ist, muss freilich nicht stutzig machen; verglichen mit Pop-Ramsch wie dem
Jerry-Bruckheimer-Geldmacher «King Arthur» hebt sich Reynolds’ recht erdiger Film nämlich wohltuend ab. Sicher mag es lamentabel sein, dass mit dem Motiv der untergeschobenen Braut, dem
Gottesurteil und vor allem dem für das Liebes(un)glück ursächlich verantwortlichen Zaubertrank – gleichsam der «crux interpretationis» des Werks – kernhafteste Elemente fehlen. Doch gerade durch
die Tilgung dieser mystischen Ingredienzen wollte man der in rau-naturalistischen Braun- und Grautönen inszenierten Geschichte einen mehr realistischen Anstrich verpassen. Nicht blind
romantisierend wird so auch die gesellschaftlich inakzeptable Liebe zwischen den Protagonisten geschildert. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Zeichnung von König Marke (brillant: Rufus
Sewell), der die seit dem Abzug der Römer geteilten britischen Stämme einen und gegen das prosperierende Irland seines barbarischen Schwiegervaters Donnchadh wappnen soll. Marke, bei Gottfried
eine nur potenziell tragische Figur, ist es, der von seinem Ziehsohn Tristan und seiner Gattin Isolde wieder und wieder vorgeführt und gehörnt wird. Es wäre nun ein Leichtes gewesen, diese Figur
dergestalt zu modifizieren, dass der Ruchlosigkeit des Verrats der Liebenden die Spitze genommen würde. Doch Reynolds zeigt Marke dezidiert als sensiblen, grüblerischen, Tristan bedingungslos wie
einen Sohn liebenden Menschen, dem übel mitgespielt wird. Seinem vom limitierten James Franco verbesserungsfähig gespielten Tristan und der von Newcomerin Sophie Myles (Typ Kate Winslet) ideal
verkörperten Isolde macht er so die Sympathien des Publikums abspenstig und die Verschlagenheit, deren dieses grosse Liebespaar eben auch schuldig ist, immerhin ansatzweise präsent. Sehr frei –
für die Gesamtkomposition des Films unerlässlich – ist derweil der Schluss umgesetzt, wo die durch eine höfische Intrige initiierte Entdeckung der Liebenden zum Anlass für finale kriegerische
Scharmützel genommen wird. Die den Romanschluss einleitende Isolde-Weisshand-Episode fehlt hier, wie zu Beginn die Schilderung der tragischen Umstände von Tristans Geburt fehlt. Die erste
«Tristan + Isolde»-Filmfassung bleibt so also nur ein Ausschnitt des Werks – ein vereinfachender, nicht aber trivialisierender Ausschnitt.