Kaum frischer Wind auf Manderley

Einen Hitchcock-Klassiker wie «Rebecca» neu auflegen? Das ist auch dann keine sonderlich gute Idee, wenn man Ben Wheatley heisst und im Rufe steht, ein Spezialist für Stoffe von ausgesuchter Bosheit zu sein.

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Von Sandro Danilo Spadini

Die Kunst mag das Privileg der unbegrenzten Freiheit geniessen. Doch es gibt auch in der Welt des Schön- und Feingeistigen Dinge, die man einfach nicht tun sollte – und sei es nur, weil man dabei sowieso bloss verlieren kann. Die Beatles zu covern, gehört wohl in diese Kategorie. Oder gewiss arger noch: Hitchcock neu zu verfilmen. Kurz ist denn auch die Liste jener Mutigen und Übermütigen, die sich geeignet fühlten, dem Master of Suspense den suspekten Meister zu zeigen. Und die wenigen, die diesen Frevel frivolerweise begangen haben, dürften das im Nachhinein bereut haben: Gus Van Sant etwa, der sich Ende der Neunziger entblödet hatte, «Psycho» Szene für Szene nachzufilmen; oder Andrew Davis, der sich zur selben Zeit erfrecht hatte, «Dial M for Murder» neu aufzulegen; und schliesslich ein gewisser David Ondaatje, der sich 2009 erlaubt hatte, Hitchcocks Erstling «The Lodger» aufzudatieren. Nicht mal bei dem inzwischen verstummten Gerücht, die prächtige «Gone Girl»-Troika um David Fincher, Gillian Flynn und Ben Affleck denke über ein «Stranger on a Train»-Remake nach, vermochte die Neugier die Skepsis restlos zu verscheuchen. Und recht ähnlich verhält es sich nun, da der hochgejubelte englische Regisseur Ben Wheatley seine Version von «Rebecca» präsentiert: Nach morbiden Kuriositäten wie «The Kill List» und «Sightseers» ist man zwar angemessen gespannt darauf, was dieser Spezialist für Stoffe von ausgesuchter Bosheit der Vorlage von Daphne du Maurier abgewinnen und dem Oscar-prämierten ersten amerikanischen Film von Alfred Hitchcock hinzufügen kann. Aber auch hier fragt man sich zunächst einmal: Darf der das? Und mehr noch: Warum tut der das?

Glatt poliert statt gruselig

Welche Strategie Wheatley wählt, um sich wider Erwarten zu bewähren, wird zumindest visuell und atmosphärisch schnell klar: die der maximalen Abgrenzung. So gerät der Prolog an der französischen Riviera, wo unsere namenlos bleibende Protagonistin (Lily James) erstmals dem reichen Witwer Maxim de Winter (Armie Hammer) begegnet, luftig und fidel, beherzt und beschwingt. Farbenfrohe und sonnendurchflutete Bilder treten an die Stelle von Hitchcocks Schwarzweiss; eine humorige Note, eine jazzige Prise und mediterranes Flair dominieren die Szenerie. Freilich haftet dieser auch etwas gleichsam Mechanisches an, wirkt das alles ziemlich steif und wenn nicht lieblos, so doch ein wenig leblos. Das ändert sich einstweilen auch nicht, als das nunmehr verheiratete junge Paar in die südwestenglische Grafschaft Dorset auf de Winters mythenumrankten Landsitz Manderley heimkehrt, «eines der vornehmsten Häuser Englands», das bei du Maurier und Hitchcock den Status einer weiteren Hauptfigur innehat. Wheatley hat sich dazu entschieden, auf Manderley kräftig durchzulüften; allein, allzu viel frischer Wind kommt von der stets sturmumtosten Küste nicht rein, und statt charakterhaft kommt das Schloss eher generisch daher und wirkt wie eine Version von Downton Abbey, die Jay Gatsbys Architekt mit etwas Pomp aufgepeppt hat. Woran Wheatleys Manderley vor allem aber mangelt, ist die gespannte Stimmung, die Aura des alles überschattenden Geheimnisses und der von der drachenhaften Haushälterin Mrs. Danvers (Kristin Scott Thomas) bewahrten Tragik um den Tod der ersten Mrs. de Winter, der titelgebenden Rebecca, «der schönsten Kreatur, die ich je gesehen habe», wie es einmal heisst, «der Liebe seines Lebens», über deren plötzlichen Tod ein Jahr zuvor der nunmehr zutiefst verschlossene Hausherr den Verstand verloren habe und deren Grandezza für den ehedem als «Gesellschafterin» angestellten Neuankömmling unerreicht bleiben wird. «Sie ist immer noch hier», verkündet Mrs. Danvers und verpasst ihrer ohnehin verstörten neuen Lady den nächsten wohlplatzierten Nadelstich. Aber der Psychoterror und der eskalierende Horror – sie wollen sich trotzdem nicht unter die glatt polierte Oberfläche einschleichen.

Immerhin Lily James glänzt

Derweil der Geist von Rebecca de Winter also nie richtig greifbar wird, ist der Schatten von Alfred Hitchcock jederzeit präsent. Zwar zeigt sich Wheatley respektvoll gegenüber Vorlage und Vorgänger und hakt pflichtbewusst sämtliche Schlüsselmomente der wendungsreichen Handlung ab; allerdings geschieht das ohne jede hitchcocksche Suspense und bisweilen auch arg gehetzt: so beim überstürzten Übergang in den dritten Akt, wo die Sonne allmählich verschwindet und eine gewisse Düsternis ihren Platz reklamiert. Auf ein hemmungslose Eintauchen in den Wahnsinn der Geschichte wie weiland vor 80 Jahren wartet man aber weiterhin ebenso vergebens wie auf das Sardonische und Subversive, auf das man beim Namen Wheatley spekulieren durfte. Und obwohl dessen Film gelegentliche Schauwerte nicht abzusprechen sind, verdichten sich diese nicht zu einer stimmigen Schaueratmosphäre; vielmehr driftet die Inszenierung ab und an und nicht nur in den holzschnittartigen Traumsequenzen sogar ins Alberne und Abstruse, in Kitsch und Pulp. Das indes ist eher ein Ausreisser; richtig mies ist hier so wenig wie wirklich gut. Sinnbildlich dafür das Personal vor der Kamera: Die aufstrebende Lily James – ungeachtet des Filmtitels und der Namenlosigkeit ihrer Figur Dreh- und Angelpunkt des Plots – setzt das Glanzlicht, derweil der noble Armie Hammer – der hier gegen das Erbe von Laurence Olivier und mithin den vielleicht grössten Mimen aller Zeiten anspielen muss – sich sicherlich ordentlich präsentiert; den attraktivsten Part jedoch, jenen der diabolisch intriganten Mrs. Danvers, hätte man definitiv knackiger casten können als mit Kristin Scott Thomas, die es so wenig wie ihre Mitspieler fertigbringt, ihre Figur ein Eigenleben entwickeln zu lassen, das über deren Primäreigenschaften hinausginge. Am Ende ist das ein Remake, das nicht mal ärgerlich ist; ein Film, der so lange seine Identität sucht, bis er das Interesse seines Publikums verloren hat, und der einen damit unberührt und ziemlich ratlos zurücklässt. Denn das grösste Mysterium in Ben Wheatleys «Rebecca» bleibt auch nach zwei Stunden ungeklärt: warum er diesen Film gemacht hat.