Hat sie? Oder hat sie nicht?

Die Daphne-du-Maurier-Verfilmung «My Cousin Rachel» besticht durch unkonventionelle Kameraführung und Titelheldin Rachel Weisz. Aber sie krankt an einer wenig interessanten männlichen Hauptfigur.

 

von Sandro Danilo Spadini

Rachel, eine Witwe, sehr gute Gesellschaft»: So steht es in dem Brief, den der kränkelnde Ambrose (Sam Claflin) seinem Vetter Philip (auch Claflin) aus Florenz ins heimische Cornwall der 1830er-Jahre übersendet. Das klingt zwar nicht grad übermütig, will aber gleichwohl was heissen hier. Denn dieser Ambrose, auf dessen Anwesen der früh verwaiste Philip aufwuchs, er habe nie gross Verwendung für Frauen gehabt, heisst es. Und so erstaunt es umso mehr, als er im nächsten Brief bekannt macht, er werde besagte Rachel, eine halbitalienische Cousine von ihm und mithin Philips, ehelichen. Die Befürchtung: Sie werde alles auf den Kopf stellen. Und der Leidtragende davon? Philip natürlich, der so quasi wieder zur Waise werde, wie die patente Louise (exzellent: Holliday Grainger) spöttelt, die ihm zugedachte Freundin des Hauses. Dann aber ändert sich der Ton der Briefe drastisch. «Rachel, meine Pein», heisst es nun. Und, als versteckte Botschaft: «Um Gottes willen, komm schnell.» Doch als Philip getan hat, wie ihm geheissen, und in Florenz eingetroffen ist, findet er nur noch einen öligen Anwalt (Pierfrancesco Favini) vor, der ihm bescheidet: Ein Tumor im Kopf habe Ambrose dahingerafft; er sei zuletzt nicht mehr bei klarem Verstand gewesen. Philip freilich ist überzeugt: Es war diese vermaledeite Rachel, die dem verehrten Vetter und Ersatzvater den Garaus gemacht hat. Zurück zu Hause, baut er einen nervösen Hass auf die wild imaginierte Unbekannte auf; und als ihm verkündet wird: «Sie ist hier!», ist nun nicht nur er, sondern sind auch wir sattsam neugierig, was es mit diesem Teufelsweib auf sich haben mag. Doch einstweilen müssen wir warten. Denn Roger Michell («Notting Hill»), Regisseur von «My Cousin Rachel», macht es spannend und spannt uns noch etwas weiter auf die Folter.

Am amourösen Abgrund

Als die dergestalt Mystifizierte (Rachel Weisz) nach über 20 Minuten endlich Audienz gewährt, sind wir zunächst aber einigermassen unterwältigt. Nachgerade lieblich wirkt sie, gewitzt und arglos. Und nach zwei, drei Scherzchen hat sie Philip bereits in ihrem Bann und uns gleich dazu: Hingerissen sind wir, entzückt und recht verwirrt. Letzteres ist auch der Clou des Mystery-Melodrams von Daphne du Maurier aus dem Jahr 1951: die Verwirrung. «Hat sie? Oder hat sie nicht?», das ist hier die Frage, die Philip am Anfang im Off stellt und die uns schon bewegt, als wir Rachel noch gar nicht begegnet sind. Das ist ein guter Start in diese Schauergeschichte, von Michell geschickt gemacht. Doch als die – von Weisz notabene famos verkörperte – Titelheldin dann da ist und den perplexen Philip («Du bist nicht die Frau, die ich gehasst habe») mit Italianità in den Irrsinn charmiert, kommt es zum Spannungsabfall. Ein wenig Geplänkel ums Geld, etwas Schmeichelei, einige Sperenzchen gibt es, aber nichts, was dem Plot Schwung verliehe. «Du bist vollkommen verrückt geworden», sagt Rachel dem just 25 und somit erbberechtigt gewordenen Philip einmal lächelnd. Und später dann, ohne zu lächeln: «Hast du den Verstand verloren?» Beides trifft zu, und Spinner geben ja im Grunde spannende Figuren ab. Doch ebendies ist Philip nicht. Er ist ein liebeskranker Narr, der zu nah am Abgrund reitet und die Warnungen seiner Getreuen patzig in die steife britische Brise schlägt; aber bemitleiden mag man den tapsigen Frauen-Missversteher deswegen nicht. Und Sam Calfin, sosehr er sich auch müht, ist auch kein Richard Burton, der diesen Philip anno 1952 an der Seite von Olivia de Havilland ungleich leinwandfüllender gab.

Fulminanter Schluss

Drei Du-Maurier-Stoffe hat Alfred Hitchcock einst zu Film gebracht: «Jamaica Inn», «The Birds» und «Rebecca». Doch mehr als sie gemahnt «My Cousin Rachel» an ein anderes Werk Hitchcocks: den Ehethriller «Suspicion», in dem Cary Grant seine Frischangetraute (Joan Fontaine) langsam zu vergiften versucht. Ob Rachel dies mit Ambrose getan hat und mit Philip nun vorhat, fängt dann gegen Ende wieder an zu interessieren. Geschuldet ist das auch der unkonventionell augenfälligen Kameraarbeit, die indes schon im mauen Mitteldrittel manche Länge zu verkürzen vermochte. Ob listig lauernd oder aufdringlich anhänglich, ob ominös observierend oder konfus konfrontativ: Mike Eley schöpft von Handkamerawackler bis Panoramawucht die ganze Palette aus. Er avanciert so gleichsam zum facettenreichsten Akteur dieser bisweilen gar zugeknöpften und allzu aufgehübschten Geschichte – und füllt damit jene Lücke, die der überforderte Philip bis zum fulminanten Schluss klaffen lässt.