Nach dem Knall kommt der Knüller

Im Terrorismusdrama «Richard Jewell» huldigt Clint Eastwood einmal mehr einem missverstandenen Helden. Er tut das mit einer Nüchternheit, die bisweilen ermüdet – und mit einem Ensemble der Extraklasse.

 Warner Bros.

Von Sandro Danilo Spadini

Zwei Menschen verloren ihr Leben, als am 27. Juli 1996 während eines Open-Air-Konzerts im Rahmen der Olympischen Sommerspiele von Atlanta im Centennial Park eine Bombe hochging. Und ein weiteres Leben wurde in dieser Nacht zerstört – das Leben von Richard Jewell, dem Wachmann, der die Bombe entdeckt und so Schlimmeres verhindert hatte. Ein Held sei er, bekommt Jewell (Paul Walter Hauser) in Clint Eastwoods nach ihm benannten Drama wohl bald einmal zu hören. «Du bist ein Rockstar», findet seine Mutter (Oscar-nominiert: Kathy Bates) gar. Doch bald kehrt der Wind. Der fettleibige 33-Jährige, der nie von zu Hause ausgezogen ist, passt fürs FBI eben auch perfekt ins Profil des «einsamen Bombers»: ein geborener Versager, der sich in früheren Jobs unmöglich benommen hat; ein übereifriger Waffennarr, der sich danach sehnt, im Polizeidienst für Recht und Ordnung zu sorgen. Kein Wunder, kommt da ein Verdacht auf; und keine Frage, muss die Bundespolizei hier ermitteln – zumal es zwölf Jahre zuvor an den Spielen von Los Angeles schon einmal einen gescheiterten Cop gab, der die Bombe, die er fand, selbst gelegt hatte. Das grosse Unglück, die schwere Ungerechtigkeit, die Richard Jewell erlitten hat, war indes, dass die FBI-Ermittlungen an die Presse durchsickerten. Und die machte daraus dann ein übles vorverurteilendes Spektakel, an dem der so schnell und tief gefallene Held zerbrechen sollte.

Die Guten

Die Geschichte des Richard Jewell ist eine komplexe und mitunter komplizierte. Und Clint Eastwood ist mithin denkbar ungeeignet, sie zu erzählen. Denn die Welt des mittlerweile 90-Jährigen – sie war und ist eine einfache: Da gibt es Gut, und da gibt es Böse; Schwarz und Weiss; Richtig und Falsch. Und dazwischen: nichts. Diese simple Sicht der Dinge steht natürlich in vollem Einklang mit Eastwoods teils militant konservativen Überzeugungen, und sie drang seit je unangenehm in seinem Wirken durch und nochmals akzentuiert in jenen Geschichten über schwierige und missverstandene «Real Life Heroes», die sein Spätwerk prägen: in dem zutiefst unsympathischen «American Sniper», wo ein «All American»-Pfundskerl mit Zielfernrohr maschinell menschliches Ungeziefer entsorgt; im einwandfreien «Sully» über den von Paragrafenreitern schikanierten Wunderpiloten Chesley Sullenberger; im konzeptuell irrlichternden und überhaupt desaströsen «The 15:17 to Paris» über die drei proper-patenten US-Touristen, die in einem TGV einen Attentäter überwältigen; und sogar im wiederum passablen «The Mule», wo sich ein bauernschlauer 90-jähriger Kriegsveteran als Schmuggler für das Sinaloa-Kartell verdingt. Die Guten in «Richard Jewell» sind nun Waffen, Gott und Amerika liebende Jedermänner, keine geschniegelten Sonnyboys, sondern mehr die Socken-in-Sandalen-Typen: der Titelheld, der vom komödiantisch begnadeten Paul Walter Hauser in einer Sternstunde freilich als aufmerksamkeitshungriger Möchtegern verkörpert wird, der sich gar nicht mal so sehr unterscheidet von seinem lächerlichen «White Trash»-Trottel aus «I, Tonya». Und sein angenehm unambitionierter Anwalt Watson Bryant, eine Rolle, die Sam Rockwell abermals dazu nutzt, ein Glanzlicht zu setzen.

Und die Bösen

Ihnen gegenüber stehen das windige FBI und die von Geiern und Hyänen bevölkerte Presse als die Bösen, die sich hier in Person von Jon Hamm und Olivia Wilde tatsächlich nicht nur sprichwörtlich, sondern – historisch inakkurat – sogar buchstäblich miteinander ins Bett legen. Es dringt da zum einen Eastwoods tief verwurzelte Verachtung für Bürokraten durch, zum anderen – neben seinem latenten Sexismus – aber auch eine ungestillte Rachelust: Die Rufmordkampagne, die die 2001 skandalversehrt an einer Medikamentenüberdosis verstorbene Reporterin Kathy Scruggs gegen Jewell angezettelt hat, zahlt Eastwood ihr hier mit gleicher Münze zurück. Er porträtiert sie als von Ehrgeiz zerfressene Trulla, als vor Sensationsgeilheit übergeschnapptes Journi-Luder, das er als erste Reaktion auf das Attentat sagen lässt: «Lieber Gott, wer immer das war – lass ihn uns zuerst finden. Und lass ihn interessant sein.» Das ist nicht eben die feine Klinge, die Eastwood schwingt, eher ein Holzhammer; und die Kontroverse, die er damit auslöste, könnte mitverantwortlich dafür sein, dass der Streifen an den US-Kassen floppte. Überhaupt stellt sich die Frage, ob dies der richtige Zeitpunkt für eine filmische Attacke auf die Strafverfolgungsbehörden und den Journalismus ist: jetzt, wo einer im Weissen Haus sitzt, der die demokratischen Institutionen auf infame und frivole Weise aushöhlt, der die Presse zu Staatsfeinden erklärt und darüber fantasiert, das FBI arbeite dem sogenannten Deep State zu. Nicht besser macht es, dass auch der Film einen recht nonchalanten Umgang mit Fakten pflegt und sich keinen Deut um Kontext schert, etwa um die Opfer oder den rechtsradikalen Hintergrund des sechs Jahre später gefassten wahren Täters. Unerwartet kommt derweil, dass das auch handwerklich klemmt. Den Comedy-Background des Hauptrollen-Debütanten Hauser, der Jewell öfters unfreiwillig in die Nähe einer Witzfigur rückt, kontert der ewige «No Bullshit»-Knochen Eastwood mit fast dokumentarischer Nüchternheit: einer sachlichen und ruhigen, komplett schnörkellosen Inszenierung, die bisweilen auch ermüdet und die Grenze zur Kunstlosigkeit streift. Dieses Stoische indes spiegelt nicht nur das Verhalten seines Helden, es zeugt auch davon, dass Eastwood hier ganz bei der Sache ist: dass er hoch interessiert ist am Medien- und Behördenopfer Jewell, der 2007 nur 44-jährig an den Folgen seiner Fettsucht gestorben ist, und an der Thematik an sich. Und im letzten Drittel wird es dann ja doch noch ein wenig emotional, wird dem mit 130 Minuten allzu lang geratenen Film etwas Leben eingeimpft, wenn dann und wann die obligaten Pianoklänge ertönen und Jewell in ebenfalls sehr lang und langfädig geratenen Diskussionen endlich auch einmal aus der Haut fährt. Das letzte grosse Alterswerk des Clint Eastwood ist «Richard Jewell» deshalb aber nicht geworden; es ist am Ende nicht einmal einer dieser grundsoliden Filme, die den grössten Teil seiner Regiekarriere geprägt haben und mit denen er diese nun seit Längerem ausklingen lässt.