Der Wille versetzt Berge – auch den Himalaja

Der australische Regieroutinier Peter Weir erzählt in «The Way Back» eine ungewöhnliche Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Er tut dies freilich auf eher gewöhnliche Art und Weise.

 

von Sandro Danilo Spadini

Unvorstellbar ist es, was diese Gruppe von Gulag-Flüchtlingen geleistet hat. Und damit man es sich doch vorstellen kann, hat der australische Regieroutinier Peter Weir («Dead Poet's Society», «The Truman Show») ihre Geschichte in «The Way Back» in bewegte Bilder umgesetzt. Ein Schlaglicht wirft Weir so auch auf die gleichsam vergessenen Opfer des Zweiten Weltkriegs: die bis zu 20 Millionen Gulag-Gefangenen, die etwa in Sibirien Grausamstes zu erdulden hatten, in der (heutigen) Wahrnehmung aber gleichwohl nur Randfiguren des Kriegs sind. Es sind Leute wie der Pole Janusz (Tim Sturgess), der hier als angeblicher Feind Stalins soeben eine 20-jährige Haftstrafe angetreten hat. Oder auch wie der Amerikaner Smith (Ed Harris), der schon etwas länger hier ist. Und auch wie der gewöhnliche russische Kriminelle Valka (Colin Farrell), der Stalin und Lenin auf der Brust tätowiert hat und sowieso nicht gerade ein gemütlicher Zeitgenosse ist. Janusz, Smith und Valka sind die Köpfe dieser Gruppe dezidiert Überlebenswilliger. Allen Mut der Welt haben sie aufgebracht und sind aus dem Lager geflüchtet. Wie sich freilich weist, war der Ausbruch aber erst der Anfang und ein Kinderspiel verglichen mit dem, was man in den kommenden Wochen zu gewärtigen hat: eine 6000 Kilometer lange Flucht in die Freiheit von Sibirien über den Baikalsee und den Himalaja bis nach Indien. Nicht alle werden diesen «Way Back», diesen Weg zurück in die Zivilisation, überleben; dass es einige aber schaffen, ist ein Wunder und eine Willensleistung ohnegleichen.

Mehr als imposante Kulisse

Angesiedlet ist die Geschichte im Jahr 1940. Doch das tut hier wenig zur Sache, kommt der Politik doch nur eine untergeordnete Rolle zu. In den Gesprächen am Lagerfeuer wird sie bisweilen erörtert, so wie während dieser Momente der Rast und Reflexion die persönlichen Schicksale der am Anfang sieben Flüchtige aufgerollt werden. «The Way Back» ist denn auch weniger ein historischer Film als ein – recht klassischer – Abenteuer- und Fluchtfilm. Dies zumindest nach der Auftakt-Halbstunde, die noch in dem von Bulgarien «gedoubelten» Sibirien gespielt hat. Und fast scheint es, als ob sich Weir geschont hat für den Hauptteil. Denn der Start mag ihm nicht so recht gelingen. Die Szenen im Gulag scheinen ihm mehr Pflichtprogramm zu sein: die fast lästige Vorbereitung auf den Parforceritt seiner Protagonisten. Erst auf diesem entdeckt Weir auch die epische Natur so richtig, nachdem ihm zuvor in optischer Hinsicht kaum Nennenswertes geglückt ist. Umso sinnfälliger und drängender ist das, als die Natur hier nicht bloss imposante Kulisse ist; vielmehr ist sie auch die Gegnerin unserer Helden, an der sich diese immer wieder aufreiben und aufkratzen, versehren und verzweifeln.

Tolle Pseudo-Osteuropäer

Die Natur ist also quasi einer der zentralen Player. Was die übrigen angeht, so holt gerade die Fraktion der Pseudo-Osteuropäer das meiste aus den doch reichlich eindimensional und stereotyp gezeichneten Figuren heraus: namentlich der junge Engländer Tim Sturgess («21»), die aufstrebende Irin Saoirse Ronan («Atonement»), deren Landsmann Colin Farrell («Alexander») und der englische Spätstarter Mark Strong («Sherlock Holmes»). Was die vier leisten, verdient in der Tat Respekt – allzu oft haben sich Hollywood-Cracks schliesslich beim Versuch eines osteuropäischen Akzents blamiert. Den Hut ziehen darf vor ihnen wie auch der übrigen – national sehr durchmischten – Truppe freilich alleine schon wegen der Dreharbeiten, die alles andere als ein Picknick gewesen sein sollen. Dass die Entbehrungen am Set nicht in Übermotivatin und entsprechendem «Over-Acting» mündeten, ist derweil gewiss auch ein Verdienst von Reiseleiter Weir, der sich abermals als Freund der Antiklimax outet und die Kamera im entscheidenden Moment gerne wegzieht. Ansonsten vertraut Weir mehr Traditionellem. Wirklich grossartig ist es denn auch nicht, was er hier abliefert; aber das sind die Filme von Peter Weir ohnehin selten. Von solider Qualität bis gehobener Klasse sind sie freilich stets; und das ist auch «The Way Back» zweifellos.