Der verschollene Bräutigam oder Filmriss in Las Vegas

Die brachiale Komödie «The Hangover» profitiert von einem gewitzten Skript und unverbrauchten Darstellern. Anarchie und Konvention bleiben derweil in gesundem Gleichgewicht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein Tiger im Bad und ein Baby im Schrank, aber keine Spur von dem letzte Nacht rauschend gefeierten Bräutigam in spe: So präsentiert sich der provisorische Status quo für die soeben aus komatösem Vollsuffschlaf erwachten Kumpels Phil, Stu und Alan am Morgen danach. Nach Las Vegas waren sie tags zuvor gefahren, hatten sich im «Caesars Palace» eine fette Suite gemietet und sodann auf dem Dach selbigen Etablissements mit einem Jägermeister die Zechtour eingeläutet. Dies alles wohlgemerkt zu viert, also noch in Anwesenheit von Doug, dessen zweitletzte Nacht «in Freiheit» gehörig ungehörig zu feiern war. Irgendwann in dieser Nacht muss ihnen Doug aber abhandengekommen sein; wann das wohl gewesen sein mag, gehört freilich in den Bereich barer Spekulation. Denn was nach dem Jägermeister gelaufen ist, entzieht sich der Kenntnis sämtlicher Beteiligter, und zwar ganz und gar, Filmriss total. Es werden tendenziell Unmengen von Alkoholischem und auch manch Rezeptpflichtiges im Spiel gewesen sein, Damen mit zweifelhaftem Leumund könnten eine Rolle gespielt haben, und gewisse Indizien sprechen dafür, dass man sich bei dem nächtlichen Tun mitunter im Bereich des Illegalen bewegt hat. Jedenfalls gilt es jetzt, den genauen Verlauf der Nacht zu rekonstruieren und dabei auch zu klären, was zum Teufel mit Doug geschehen ist. Die Zeit drängt jedoch – zumal da ja noch die Sache mit der Hochzeit ist.

Publikumsliebling in den USA

Eine gewitzte Story haben die Drehbuchmänner Jon Lucas und Scott Moore mit «The Hangover» ausgeheckt. Das klassische Komödien-Sujet des wilden Polterabends haben die vom Weihnachtsklamauk «Four Christmases» noch in recht erfreulicher Erinnerung gebliebenen Jungautoren mit einer Thriller-Dramaturgie aus der «Memento»-Schule vermischt, woraus konsequenterweise ein spannender Schwank entstanden ist. Fachkundig umgesetzt hat das Ganze der 38-jährige New Yorker Todd Phillips – ein Regisseur, der in Filmen wie «Road Trip» oder «Old School» nachdrücklich demonstriert hat, dass er keiner ist, der die feine Klinge zu schwingen pflegt. Das Brachiale ist mehr seine Welt, den komödiantischen Zweihänder hat Phillips stets in Griffnähe. Es ist entsprechend kein Wunder, dass es auch in «The Hangover» bisweilen affig und schweinisch zu- und hergeht. Indes wird selbst ein Krawallbruder wie Todd Phillips nicht jünger, und so darf diesmal freudig festgestellt werden, dass das Anarchische und das Konventionelle insgesamt in einem gesunden Gleichgewicht verbleiben – wobei weder «gesund» noch «Gleichgewicht» Langweile suggerieren sollen. Dieses unsympathische Gefühl kommt hier nämlich zu keiner Sekunde auf. Zackig und clever ist das geschrieben und vor allem inszeniert, keine Szene zu viel, keine Szene zu lang, keine Szene ohne Lacher. Sehr amerikanisch ist dabei der Humor – und ziemlich männlich. Das wird natürlich nicht allerorten derart euphorisch goutiert wie in den USA, wo sich «The Hangover» bei Publikum wie Kritik zu einem Liebling der Saison gemausert hat. Doch alleine die schiere Gagdichte auf Dialogebene nötigt in jedem Fall Respekt ab.

Frisches Personal

Erspriesslich ist das Ganze zudem unter dem darstellerischen Aspekt. Dem vierköpfigen Hauptpersonal wurden zwar die üblichen Stereotype hingeschrieben: der Normalo, der Lebemann, der Biedermann, der Spinner. Doch besetzt hat man es in Justin Bartha (Doug), Bradley Cooper (Phil), Ed Helms (Stu) und Zach Galifianakis (Alan) mit unverbrauchten Gesichtern. Das hat den Vorteil, dass die Figuren atmen können und eben nicht darunter ächzen, dass ein Comedy-Star ihnen seine sattsam bekannten Marotten aufzwingen muss. Und weil die vier nicht danach dürsten, neue, vielleicht bald sattsam bekannte und in Zukunft von ihnen eingeforderte Marotten zu entwickeln, ist das gleich doppel erfreulich. Gewiss qualifiziert all das diesen Herrenspass nicht als Kunstwerk. Doch als rotzige Sommerkomödie mit dem Anspruch, ein paar wüste Lachanfälle zu provozieren, rockt «The Hangover» gewaltig.