Bianca oder der helle Wahnsinn aus Gummi

Die im Bemühen um Originalität recht gewöhnlich geratene Tragikomödie «Lars and the Real Girl» ist vor allem wegen einer neuerlichen Topleistung von Hauptdarsteller Ryan Gosling sehenswert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Das Anderssein pflegen ist gerade in einer vermeintlich (?) auf Gleichschaltung und Uniformität getrimmten Welt gewiss nichts Schlechtes. Bisweilen jedoch verkommt dieses bewusste Abweichen vom Mainstream auch wiederum zur Methode, zur Masche. Anschaulich wird dieses popkulturelle Paradoxon gerade in dem gleichsam per definitionem für Nonkonformität zuständigen Independent-Kino. So darf überspitzt formuliert postuliert werden, dass heute jeder zweite «andersdenkende» Jungregisseur Wes-Anderson-Filme machen möchte. Was dafür unverzichtbar scheint: ein ins Publikumsherz gespielt werden wollender Einzelgänger, gerne stoisch-verschlossen, als Hauptfigur, Ergänzungspersonal mit mannigfaltigen Tics, ein Verständnis demonstrierendes Schmunzel-Skript, «Corporate Identity» bildende bunte Signalfarben und ein luftig-schlicht-entrückter Soundtrack. Versiert genug abgemischt, ergibt das dann eben einen Film wie «Lars and the Real Girl».

Gummi statt Fleisch

Derweil also Machart und Aufmachung des Debüts von Regisseur Craig Gillespie sattsam bekannt sind, hat das Drehbuch von Nancy Oliver («Six Feet Under») immerhin von der Idee her was Originelles. Eingedenk des Filmtitels wenig verwunderlich dreht sich der Plot um einen Menschen namens Lars, brillant dargestellt von Hollywoods Toptalent Ryan Gosling. Lars ist, selbstredend, ein Einzelgänger, ein stoisch-verschlossener dazu. So weit, so üblich. Überraschungsreicher wird es freilich beim zweiten Teil des Titels, bei den «Real Girls», denn eines dieser Girls, das wichtigste notabene, ist alles andere als real, sondern vielmehr aus Gummi – ist mit anderen, volkstümlichen Worten eine Gummisusi, die sich dieser komische Kauz Lars über Internet bestellt hat und Bianca nennt. Weil Lars nun aber nur ein wirklich sehr komischer Kauz und mitnichten ein Perversling ist, führt er seine Bianca nicht etwa ihrem eigentlichen Bestimmungszweck zu; nein, nach Fleischlichem respektive Gummigem gelüstet es unseren Helden nicht. Vielmehr ist es die gute alte Liebe, die er sucht – und in Bianca findet. Sich zusehends sozialisierend und selbstbewusster werdend, stellt er die Puppe nicht nur seinem mehr praktisch denkenden Bruder (Paul Schneider) und dessen Gattin (Emily Mortimer), sondern schliesslich der ganzen Kleinstadt als seine Freundin vor. Und im Nu ist der Bekanntenkreis schon mit von der skurrilen Fantasie-Partie, was natürlich zu allerlei Amüsantem führt. Freilich erscheint irgendwann dann auch ein reales weibliches Geschöpf auf Lars’ Schirm. Und wohin das führen wird, braucht ja wirklich nicht ausformuliert zu werden.

Zu wenig Tiefe

Es ist ein beinahe naiver Glaube an das Gute im Menschen, dem Gillespie und Oliver auf oft erfrischende Weise hier nachhängen. Dass dieser Glaube am Ende dann aber doch nicht recht aufs Publikum übergreift, liegt an einer gewissen Süsslichkeit und einer ungesunden Schlankheit des Plots. Wiewohl die anfängliche Belustigung mit der Zeit einer Mischung aus Verständnis, Neugier und Mitleid weicht, ist die Luft irgendwann raus. Denn irgendwann sähe man es gerne, wenn die klinischen Aspekte von Lars’ Verhalten mit der nötigen Seriosität beleuchtet würden. Skript wie Regie versagen sich diesem Wunsch indes und halten stattdessen mit leichtfüssiger Inszenierung und Schmunzeleinheiten den Ton konsequent auf tragikomisch – wohl in der Hoffnung, die Krankheitsgeschichte so quasi en passant adäquat erzählen zu können. Diese Rechnung geht indes kaum auf, entwickelt der formal-inhaltliche Kontrast doch nur selten die erhoffte Spannung und verpufft so weitestgehend wirkungslos. Wenngleich man sich letztlich immer noch an Goslings Brillanz, den hübschen Bildern und der herzlichen Schreibe aufrichten kann, hängt der Grad der Vereinnahmung vor allem vom Willen ab, Bianca, die Gummipuppe, als Mensch zu akzeptieren. Und das ist eben nur unwesentlich weniger absurd, als es sich anhört.