Mit Winkeladvokaten ist nicht zu spassen

Der Justizthriller «The Lincoln Lawyer» bietet zwei Stunden Spitzenunterhaltung, wie sie im Kino rar geworden ist. In der Titelrolle läuft Matthew McConaughey zu Galaform auf.

 

von Sandro Danilo Spadini

Dreht Hollywood heute Thriller, dann haben darin ja Vampire vorzukommen. Oder wenigstens Ausserirdische. Allenfalls auch Geister. Sicher aber darf es in Hollywood-Thrillern seit geraumer Zeit nicht mehr mit rechten naturgesetzlichen Dingen zu- und hergehen. Und wenn doch, dann sollte gefoltert werden, bis die Sittenpolizei kommt. Entsprechend verblüfft ist man inzwischen über Genreproduktionen, in denen die Zeit nicht rückwärtsläuft, die Hauptfigur keineswegs mit der toten Urgrossmutter schäkert und niemand von einem marsianischen Blutsauger die Fingernägel gezogen kriegt. Einen Film wie «The Lincoln Lawyer» etwa. Diese Anwaltsroman-Adaption, beruhend auf Michael Connellys «Der Mandant», knüpft qualitativ dort an, wo Hollywood einst so abrupt das Interesse verlor: an die Hochphase des Subgenres Justizthriller mit den attraktiv besetzten Grisham-Verfilmungen in den Neunzigern. Knifflige Spitzenunterhaltung ohne Logiklöcher bedeutet das – eine Wohltat für strapazierte Fan-Augen, die auf der Suche nach ihrer liebsten Entertainment-Form heute meist mit der in jeder Hinsicht kleinformatigeren Mattscheibe vorliebnehmen müssen.

Nicht ganz lupenrein

«The Lincoln Lawyer» also: Dass der Protagonist hier im (Original-)Titel steht, hat seinen Sinn. Schliesslich ist dieser Mick Haller eine ganz spezielle Figur. Ein untypischer Vertreter der Anwaltszunft ist er und ein gerissener Teufelskerl, der sich in Ermangelung von Büroräumlichkeiten im schwarzen Lincoln Continental durch den Tag und L.A. kutschieren lässt. Und der texanische Sonnyboy Matthew McConaughey scheint dazu geboren, diesem Romanhelden Herz, Seele und Charme zu verleihen. Das hat Mick freilich auch bitter nötig, denn ganz lupenrein ist der Typ nicht. Mit allen Wassern gewaschen hingegen schon, liegt ihm das Aushandeln von Deals in Hinterzimmern doch weit mehr als das Verhandeln seiner Fälle vor Gericht. Seine Klientel ist dementsprechend: Gangster, Dealer, Huren – und nun auch das Beverly-Hills-Muttersöhnchen Louis Roulet (Ryan Phillippe), dem versuchter Mord und Vergewaltigung vorgeworfen werden. Restlos überzeugt von dessen Unschuld sind weder Mick und sein Ermittler Frank (William H. Macy), noch ist man das im Publikum. Vorschnell ein Urteil bilden will man sich indes auch nicht, zumal Regisseur Brad Furman schon früh andeutet, dass hier mit Überraschungen zu rechnen sein wird. Ohne den Spass zu verderben, darf noch dies verraten werden: Diesmal wird sich Winkeladvokat Mick mit dem Griff in die Trickkiste in die Zwickmühle bringen. Und sein Versuch, sich aus dieser herauszuwinden, ist dermassen nervenaufreibend und atemlos spannend, dass bei Vorführungen von «The Lincoln Lawyer» eigentlich ein Arzt im Saal präsent sein müsste.

Erlesene Darsteller

Auch wenn die Hip-Hop-Klänge auf der Tonspur anderes suggerieren – vieles in diesem Film ist charmant altmodisch: das spritschluckende Auto, der trinkfeste Held, die gut geölten Dialoge, die wasserdichte Geschichte. Nicht altmodisch, aber wie ein alter Fahrensmann agiert Regisseur Furman bei seinem Kinozweitling. Kurssicher steuert er durch den wendungsreichen Plot und bringt ein Starvehikel mit Stil nach Hause, das ohne Anlauf in die Gänge kommt und subito schnurrt wie Micks Lincoln. Erlesen sind freilich nicht nur Sets und Requisiten; vom Feinsten ist auch das schauspielernde Personal: Neben einem für einmal meist bekleideten Matthew McConaughey in der Form seines Lebens und der besten Rolle seiner Karriere glänzen im Vordergrund ein korpulenter gewordener Ryan Phillippe und ein pornografisch beschnauzter William H. Macy; und dahinter hellt eine namhafte Nebendarsteller-Riege das ohnehin erfreuliche, obzwar düstere Geschehen zusätzlich auf: Marisa Tomei, Josh Lucas, Bob Gunton, Michael Peña, John Leguizamo, Frances Fisher, Countrysänger Trace Adkins und «Breaking Bad»-Star Bryan Cranston. Sie alle liessen sich offenbar von Michael Connellys Story und John Romanos Skript überzeugen. Fragt sich bloss, wieso dies nach dem von Clint Eastwood verfilmten «Blood Work» erst der zweite von zwei Dutzend Connelly-Romanen ist, dessen sich Hollywood bis dato angenommen hat.