Angst essen Sozialistenseele

Das DDR-Drama «Das Leben der Anderen» von Regiedebütant Florian Henckel von Donnersmarck ist eine oft präzise, selten klischierte Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Vergangenheit.

 

von Sandro Danilo Spadini

Die künstlerische Aufarbeitung und Bewältigung der kollektiven Vergangenheit ist ein Prozess, der nicht nur nach schmerzhaften Wahrheiten, sondern auch nach höchstmöglicher Sensibilität und sorgfältigster Vorbereitung verlangt. Wünschenswerterweise lassen die Dichter und Denker in der Regel denn auch ein paar Jährchen ins nunmehr befreite Land ziehen, bevor sie sich zu Richtern und Henkern aufschwingen und im unausgesprochenen Auftrag aller die zum Schweigen gebrachten Dämonen ins nationale Gedächtnis zurückrufen – auf dass sich mit gewissem zeitlichem Abstand das Licht der objektiven Erkenntnis offenbaren möge. Natürlich muss für solches auch immer der Zeitpunkt reif sein, müssen die Wunden gestillt, vielleicht vernarbt sein. Nicht jede Nation scheint freilich über ein so gutes Heilfleisch zu verfügen wie die USA, wo mit der filmischen Aufarbeitung des 9/11-Traumas bloss vier Jahre zugewartet wurde. In Deutschland etwa ist man in derartigen Dingen bekanntlich nicht so fix und schiebt die fürs nationale Gewissen so wichtige Arbeit auch schon mal auf die kommende(n) Generation(en) ab. Angesichts dieses feigen, ignoranten Umgangs mit Vergangenem ist es wenig verwunderlich, dass eine ernsthafte filmische Auseinandersetzung mit der DDR bis jetzt noch ausstehend war und man sich mit Ostalgie-Filmen wie «Sonnenallee» oder «Good Bye Lenin!» lediglich auf humoristische Art an das Thema angenähert hat. Die Machenschaften von Staat und Stasi zu beklagen und die seelenverschlingende Angst der Bevölkerung sichtbar zu machen, blieb so einem 33-jährigen Regie- und Drehbuchdebütanten namens Florian Henckel von Donnersmarck vorbehalten, der nun mit «Das Leben der Anderen» die erste fundierte filmische Verhandlung in der Sache DDR führt.

Fünf Figuren

Verfolgt werden in dem bereits mehrfach preisgekrönten Film die sich im Jahre 1984 kreuzenden Wege von fünf Figuren: Auf der Seite der Guten stehen der scheinbar linientreue Dramatiker Georg Dreyman (Sebastian Koch) und seine von Selbstzweifeln zerfressene Lebensgefährtin Christa-Maria Sieland (Martina Gedeck), eine gefeierte Theaterschauspielerin, die unversehens zum Spielball staatsschützender Widerlinge wird. Diese zynische Seite des Systems repräsentieren ein karrierehungriger Oberstleutnant (Ulrich Tukur) und der Minister Bruno Hempf (Thomas Thieme), ein feister Parteibonze, der Christa-Maria unter Berufsverbotsdrohung zu sexuellen Diensten nötigt. Zwischen den Fronten und im Zentrum der Handlung steht schliesslich der Ab- und Verhörspezialist Gerd Wiesler (Ulrich Mühe), der die Überwachung des Künstlerpaars anregt und zunächst noch mit dem Tunnelblick des ambitioniert-enthusiastischen Stasi-Spürhunds auch ausführt. Zunehmend fasziniert vom Leben der anderen, kommen dem armseligen Apparatschik während seines Lauschangriffs jedoch immer mehr Bedenken: sein Tun, sein Dasein, seine Welt und letztlich auch das Tun, das Dasein, die Welt seiner Genossen betreffend.

Ausgezeichnet gespielt

Was Henckel von Donnersmarck in seinen stimmig die DDR-Trostlosigkeit einfangenden Bildern auf oft präzise, selten klischierte Weise zeigt, ist der Verrat des – durchaus auch sozialismusgläubigen – Einzelnen durch ein auf Kontrolle und Einschüchterung aufgebautes System und dessen perfide Mechanismen der Machterhaltung mittels Schüren von Angst und Misstrauen. Insbesondere an den von Gedeck und Mühe ausgezeichnet gespielten Hauptfiguren versucht er die zerstörerische Kraft des totalitären Staates anschaulich zu machen, an der Christa-Maria zerbrechen und die den immerhin seelenbefriedeten Wiesler in eine nicht minder trostlose Zukunft entlassen wird. Dass er dafür über Gebühr viel Zeit braucht (137 Minuten!) und das von einem routinierteren Regisseur wohl genutzte Straffungspotenzial nicht erkennt, ist nebst einigen etwas holprigen Dialogpassagen das einzige Manko eines überaus schlüssigen und geschlossenen Werks, bei dem die cineastische Güte mitnichten vor dem filmhistorischen Wert zurückzustehen braucht.